20.2.06

Familia Rodante - Argentisch Reisen


Argentinien, Spanien, Frankreich, BRD, Brasilien, GB 2004 (Familia Rodante) Regie und Buch: Pablo Trapero mit Liliana Capurro, Graciana Chironi, Ruth Dobel, Federico Esquerro 103 Min.
 
Road Movie ist, wenn sich Menschen auf einer Reise näher kommen. Doch die "Familia Rodante", diese argentinische "Familie auf der Straße", ist besonders. Näher kann man sich kaum kommen als diese, in ein hoffnungslos überfordertes Wohnmobil gequetschten vier Generationen. Aber sie werden sich intensiv erleben, sich und ihr Argentinien.
 
Eine Hochzeit bei einer entfernten Nichte steht an. Entfernt durch 1500 km und durch die lange Zeit, in der die 84-jährige Emilia (Graciana Chironi, die Großmutter des Regisseurs) ihre Schwester nicht mehr gesehen hat. Emilia muss nur einen kleinen Aufstand veranstalten, um ihre Familie davon zu überzeugen, mit ihr die Reise von Buenos Aires bis nach Misiones an der Grenze zu Brasilien anzutreten. Die Zeiten sind hart, man muss sich irgendwie durchschlagen. Also quetschen sich Emilia, ihre beiden Kinder, die Angetrauten, vier Enkel, ein Freund und eine Ur-Enkelin in das historische Wohnmobil mit einem Motor aus dem Jahre 1958.
 
Wechselnde Landschaften ziehen zu treibender Musik vorüber. Einen Blick nach draußen und frische Luft gibt es für die Passagieren im Fond nur über ein Mini-Fenster im Klo. Probleme sind da vorprogrammiert, mechanische und emotionale Pannen auch durch einen nachreisenden Liebhaber und lang unterdrückte Eheprobleme. Nach Norden hin wird es immer heißer, ein streunender Hund muss auch noch mitgenommen werden. Man könnte ein fahrendes Kammerspiel befürchten, doch immer wieder atmet das argentinische Road Movie bei (Zwangs-) Unterbrechungen, Picknicks und andere Pausen spürbar Freiheit.
 
Es liegt nicht nur daran, dass man gemäß Klischee eigentlich weiß: In Lateinamerika kochen Blut und Leidenschaften schneller hoch. Die beneidenswerte Gelassenheit und der lange Atem der Geschichte sind vor allem der entspannten Erzählweise des bemerkenswerten Regisseurs und Autors Pablo Trapero ("El Bonaerense") zuzuschreiben. Schnell fühlt man sich wohl, blickt den kleinen Aufgeregtheiten des Lebens entspannter entgegen und genießt vor allem am Ende die ausgiebig, fast dokumentarisch zelebrierte Hochzeit. Ein Erlebnis, das ohne die vorherige Reise so nicht möglich gewesen wäre.
 
Kontrollen korrupter Polizisten geben ein paar der Hinweise auf den Stand der Dinge in Argentinien. Wie beim großartigen argentinischen Fahrrad-Road Movie "El Sur" von Solanas wird das eigene Land, dieser halbe Kontinent, "erfahren", der Schwerpunkt liegt hier allerdings nicht auf dem Politischen. Die bewegten Bilder zeigen Menschen im Leben, Menschen in der Zeit. "Familia Rodante" wächst einem ans Herz durch sein ruhiges Tempo, dass umso mehr "mitnimmt". Faszinierend diese ungeheure Lässigkeit des Lebens, selbst nach heftigsten Streits. Ein mal aufgeregter, mal ruhiger Fluss ohne bemühte Wertungen oder Urteile. Eine Perle für das anspruchsvolle Kino und Menschen, die mit dem Kino Welt erfahren wollen.