15.2.06

Berlinale: Film-Aufstände


Da fliegt im
großen, triumphierenden Finale das Westminster-Parlament minutenlang in die Luft - und es ist ein Happy End! Da wird gefoltert und erniedrigt - von amerikanischen und englischen Soldaten. Ein argentinischer Leibwächter erschießt seinen Chef, den Minister. Ein Aufstand gegen die eigenen Regierungen durchzieht diese Berlinale.
 
Wie weit muss es mit der Demokratie gekommen sein, dass man die Abschaffung eines Parlaments als Erleichterung empfindet? In "V wie Vendetta" der millionenschweren Verfilmung eines beliebten Comics mit Natalie Portman kann man es verstehen: Die Regierung führt Krieg gegen ihre eigene Bevölkerung, das Militär agiert im eigenen Lande, die Medien verbreiten hauptsächlich Angst. Um die zu schüren und die "Sicherheits-Politiker" wählbar zu machen, lässt man sogar Viren auf die Landleute los - Zehntausende müssen sterben. Das reicht allerdings immer noch nicht, um die naive Evey (Portman) gegen das demokratisch gewählte Terrorregime zu stellen, wie es der Mann mit der grinsenden Guy Fawkes-Maske möchte. Fawkes versuchte vor Jahrhunderten vergeblich, das Parlament in die Luft zu jagen. Erst als Evey im Folterkeller landet, findet sie den Mut zu kämpfen.
 
Um Folter dreht sich auch "The Road to Guantanamo" des ehemaligen Berlinale-Siegers Michael Winterbottom ("In this Country", "Welcome to Sarajewo"). Er ließ sich von drei Britten den Leidensweg erzählen, wie sie in Afghanistan in amerikanische Gefangenschaft gerieten und wie sie in der berüchtigten us-amerikanischen Folter-Farm auf Guantanamo in Kuba behandelt wurden. Die Aussagen hat der immer engagierte Meister-Regisseur spannend nachgedreht und bruchlos mit dokumentarischem Material verknüpft. So wundert man sich, wie ein Junggesellenabschied unter die Bombardierung Afghanistans gerät, aber noch mehr, wie dumm-dreist Vorwürfe konstruiert, Fotos und Videos manipuliert werden. Immer mit der albernen Frage: Wo ist Bin Laden? Und "unterstützt" von Isolierzelle, Psychoterror, Schlägen, Hunger. Da wird der Koran mit Füssen getreten und Bush sagt im Fernsehen, die Gefangenen in Guantanamo werden gut behandelt. Selbst als die US-Marines ihr blödsinnige Anklage fallen lassen, bleiben die Briten trotzdem noch 5 Monate in Haft. Insgesamt dauerte der Horrortrip zwei Jahre und zwei Monate. Von 750 "Kriegsgefangenen" sind 500 noch immer dort unter Verschluss. Es gab bislang 10 Anklagen, aber niemals ein Urteil. Unfassbar eigentlich. Auch dies verantwortet eine demokratisch gewählte Regierung, aber "The Road to Guantanamo" ist keine Fiktion.
 
Ein ganz anderer Stoff wurde auch mit Entwicklungs-Hilfe der Berlinale selbst in den Wettbewerb gebracht: Der argentinische "El Custodio" (Der Schatten) zeigt minutiös die Arbeit eines Leibwächters auf. Dieser Alltag besteht vor allem aus Warten vor geschlossenen Türen. Ein Job den "der Schatten" des Ministers ebenso verschlossen erledigt. In diesem auf reduzierte Weise faszinierenden Protokoll wird nebenbei allerdings die Politikerkaste als immer froh gelaunter und selten ernsthafter Haufen bloßgestellt, die sich über alles lustig macht und sich mit Affären vergnügt. Erschreckend aber konsequent erschießt der Leibwächter letztendlich seinen Minister aus nächster Nähe. So ein Film wäre in Cannes ein Top-Favorit auf Gold. In Berlin wird es hoffentlich einen Nebenpreis geben.