Großbritannien, USA, Kanada 2021, Regie: Joe Wright, mit Peter Dinklage, Haley Bennett, Kelvin Harrison Jr., Ben Mendelsohn, 124 Min., FSK: ab 12
Wer Cyrano hört, sieht dabei Depardieus befiederten Hut und seine lange Nase. Manche Väter der Klamotte erinnern sich vielleicht an Steve Martins „Roxanne" (1987) mit einem Gesichts-Erker, der auch für schwächlichen Spott leicht zu entern war. Nun gibt es einen kongenialen Paradigmenwechsel, wenn Peter Dinklage als Cyrano seine Kleinwüchsigkeit zum Objekt des Gespötts macht. Und wer da gleich wieder Aufreger sucht, möge sich entspannen und genießen: Peter Dinklage ist seit 2005 mit Erica Schmidt, der Autorin der neuen Cyrano-Version, verheiratet. Die Geschichte von Edmond Rostands Versdrama ist ihm für das grandiose Musical „Cyrano" quasi auf den Leib geschrieben. Dinklage gibt dem „Freak" Cyrano eine moderne Form.
Wobei „Freak" im ersten Wort- und Fechtduell von Cyrano als wenig originelle Beleidigung verlacht wird. Zum Ende des 17. Jahrhunderts ist der Offizier Cyrano de Bergerac (Peter Dinklage) mit der Schreibfeder ebenso begabt wie mit dem Degen. Das berühmte Wortgefecht - hier im Theater - zeigt ihn als gnadenlosen Kritiker und allem Spott überlegen. Aber „Yet it all goes in and god how it hurts" - „Trotzdem trifft es tief und, mein Gott, wie schmerzt es!" So Cyranos geflüsterter, doppeldeutiger Kommentar zu den Beleidigungen und seinem tödlichen Degenstich.
Der Streit eskalierte auch, weil Cyranos Jugendfreundin, die schöne Roxanne (Haley Bennett) im Publikum saß. Heimlich ist er in sie verliebt, aber überzeugt, dass sie ihn aufgrund seiner äußeren Erscheinung niemals lieben kann. Doch dann bittet sie ihn zu einem privaten Treffen – in einer Bäckerei ein Augenschmaus – wegen eines wichtigen Geständnisses. Das Aufflammen von Hoffnung bei Cyrano und die bittere Enttäuschung, als sie nicht ihm, sondern dem gutaussehenden Kadetten Christian (Kelvin Harrison Jr.) ihre Liebe gestehen will, das ist die pure Herz-Schmerz-Essenz dieses Dramas. Er bringt es nicht übers Herz, seine Gefühle zu gestehen. Stattdessen hilft Cyrano dem simplen Christian, umwerfende Liebes-Briefe zu schreiben.
Beim ersten privaten Treffen von Roxanne und Christian geht der Wortwitz auf Kosten des Einfältigen: „Leidest Du an Vertigo (Höhenangst)?" „Nein, ich mag nur keine Höhen." Sie lacht, er hat keine Ahnung weshalb. Er bleibt verliebter Ignorant und ein Stümper mit Worten. Was die Angebetete anfangs entsetzt: „Da kommt nur ‚I love you' und eine Wiederholung raus. Nicht die 1000 Varianten aus dem Brief." Sie staunt und verzweifelt an seinem Gestammel.
So weit, so Edmond Rostand, dessen Leben (1868-1918) wir mittlerweile auch von Alexis Michaliks Spielfilm „Vorhang auf für Cyrano" (2018) kennen. Aber anders als in den zahlreichen Verfilmungen seines beliebten romantisch-komödiantischen Versdramas wird diesmal gesungen - und wie!
Joe Wright, der Regisseur bildgewaltiger Verfilmungen wie „Stolz & Vorurteil", „Abbitte" oder „Anna Karenina", ist genau der Richtige für ein fulminantes Kostümdrama. Diesmal ist die Vorlage nicht pur Rostand, sondern das Bühnenmusical von Erica Schmidt, in dem schon Peter Dinklage („Game of Thrones", „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri", „Taxi" der Aachener Produktion Zinnober) und Haley Bennett („The Devil All The Time") die Hauptrollen spielten. Es wurde 2018 im Norma Terris Theatre in Chester, Connecticut (USA) uraufgeführt.
Ungemein passend sorgt die Musik der Indie-Band „The National" für eine melancholische Grundstimmung. Aaron und Bryce Dessner komponierten, Frontmann Matt Berninger schrieb Texte, die teilweise Rostand ersetzen. So wird die Balkonszene zu einem soufflierten Liebes-Duett. Dazu die Decke über Roxanne wie ein Himmel von Tiepolo, die rosaroten Wolken passen zu rostroten Haaren. Dann Kriegsszenen in verschneiter Berglandschaft als pures Gemälde – und vielleicht sogar ein bisschen zu viel „Game of Thrones". Dazu traumhaft schöne Choreografien mit Bäckerinnen und Soldaten in exquisiten Kostümen vor wunderbar ausgeleuchtet Kulissen, die man sofort besuchen will. Gedreht wurde übrigens auf Sizilien.
Die musikalische Neuinterpretation funktioniert erstaunlicherweise so perfekt, es lässt glatt Depardieu vergessen. Und der war doch in dieser Rolle eine der großen Kino-Ikonen. „Cyrano" anno 2022 wirkt so stimmig, man fragt sich, ob die Original-Verse von Rostand nicht auch mit dahinschmelzenden Streichern unterlegt waren. Ein in jeder Hinsicht großartiges Musical, wie es seit langem nicht mehr zu sehen war. Vielleicht seit Buz Luhrmanns „Moulin Rouge".