USA 2022, Regie: Steven Soderbergh, mit Zoë Kravitz, Rita Wilson, Byron Bowers, 149 Min., FSK: ab 16
Ein neuer Soderbergh ist immer ein Fest. Diesmal hat der Meister-Regisseur von zahllosem Herausragendem wie „Ocean's Eleven", „Erin Brockovich" oder „Magic Mike" nicht nur einen großen kinematographischen Spaß inszeniert, wie in seiner „Oceans"-Reihe. „Kimi" ist ein zeitgemäßer Pandemie-Thriller. Allerdings nicht als kurz gedachte Action-Fortsetzung seines prophetischen „Contagion" aus 2011, sondern als kluger Film über Menschen im Lockdown. Mit der enormen Spannung von Hitchcocks „Das Fenster zum Hof".
Angela Childs (Zoë Kravitz) kümmert sich um die Momente, in denen die digitale Assistentin Kimi -- eine fiktionale Schwester von Alexa und Siri - mal wieder alles falsch versteht: Sie ist „Dolmetscherin für Audio-Streams" und korrigiert tausende anonymer Anfragen von Smart-Speaker-Besitzern. Ein einsamer Job, aber perfekt für Angela mit ihrer Platzangst. Aus ihrem Loft in Seattle beobachtet sie Menschen in ihren Wohnungen auf der anderen Seite der Straße. Mit Terry textet sie sogar und verabredet sich zum Kaffee vor der Tür. Doch zum Treffen draußen kommt es wieder nicht. Trotz vieler Pillen und noch mehr Desinfektionstüchern kann Angela die Wohnungstür und ihre Ängste vor dem draußen nicht überwinden. Ab und zu kommt Terry zum Sex vorbei. Danach steckt sie aber unromantisch sofort die Bettwäsche in die Waschmaschine.
Dieses Einsiedlerleben wird nicht nur über die digitale Assistentin Kimi finanziert, Angela nutzt selber die praktische Helferin eifrig. Ein ruhiges Leben bis sie eine Sounddatei mit musikalischem Lärm und übertönten Schreien hört. Als begabte Akustik-Technikerin, die noch einen analogen Verstärker im Schrank hat, kann Angela die Gewalttat gegen eine Frau isolieren. Als sie sich dann live in die Kimi des Opfers einhackt, hört sie einen Mord mit. Nun muss die Agoraphobikerin die Sicherheit der eigenen Wohnung zum ersten Mal seit Jahren verlassen, um den Mord verfolgen zu lassen.
„Kimi" ist eine höchst spannende, zeitgemäße Variante von Antonionis „Blow up" und Hitchcocks „Das Fenster zum Hof". Der beobachtete Mord ist hier ein abgehörter. Der Beinbruch von James Stewart wandelt sich in von Ängsten unterwanderten Zeiten in Agoraphobie. Und wann ließe sich die Situation der Eingesperrten besser verstehen als in Zeiten des Lockdowns? Die Angst Angelas draußen in der Stadt verbildlicht Steven Soderbergh - wie immer selbst an der Kamera - sehr schön mit schräger und ganz enger Handkamera. Schon bevor mysteriöse Killer hinter ihr her sind und verhindern wollen, dass sie das FBI-Büro erreicht. Dabei ist diese junge Angela Childs keine kämpferische Sandra Bullock aus „Das Netz". Man sieht ihrem Wegrennen mit kleinen Schrittchen an, dass sie sich nicht viel draußen bewegt.
„Die" James Stewart für unsere Zeit ist Zoë Kravitz, Tochter von Lenny Kravitz und Schauspielerin Lisa Bonet. Nach Rollen in „Mad Max" und "Phantastische Tierwesen" sowie der Serie „Little Big Lies" beeindruckt sie hier mit großer Solo-Nummer.
Für Soderbergh wäre eine Fortsetzung seines Viren-Thrillers „Contagion" aus dem Jahre 2011 (mit Matt Damon, Marion Cotillard, Bryan Cranston) einfach gewesen. Aber geschickt, und wahrscheinlich auch wegen der Corona-Bedingungen für Dreharbeiten, komprimiert Soderbergh die Handlung größtenteils nach innen. In das Loft einer hippen Digital-Arbeiterinnen und in deren Innen-Leben. Das neben Agoraphobie-Porträt und Hitchcock-Hommage auch Überwachung in der digitalen Welt eine Rolle spielt, zeigt die Meisterschaft vom Drehbuchautor David Koepp („Jurassic Park", „Mission Impossible", „Panic Room"). „Kimi" wird jedenfalls nicht so schnell bei Apple TV+ oder Amazon laufen.