14.2.22

Noch einmal, June


Australien 2020 (June again) Regie: JJ Winlove, mit mit Noni Hazlehurst, Claudia Karvan, Stephen Curry, 99 Min., FSK: ab 6

Mal sitzt sie im Bett und jemand befragt sie, dann steht sie draußen allein. Direkt danach arbeitet ein älterer Mann an den Fußleisten. Irritierend sind diese Sprünge in Zeit und Raum nicht nur für die Zuschauer, sondern vor allem für die Seniorin June Wilton (Noni Hazlehurst). Seit fünf Jahren lebt sie nach einem Schlaganfall mit folgender Demenz in einem Pflegeheim. Das Wort für Kugelschreiber fehlt ebenso im Kopf wie die Erinnerung an Kinder und Enkel. Bis urplötzlich alles wieder da ist. Dem Arzt, der sie allen Ernstes fragt, was das für ein Ding sei, das er in der Hand hält, antwortet sie entrüstet: Ein Kugelschreiber natürlich, blöde Frage. Und kann sie jetzt bitte sofort nach Hause gehen?

Noch bevor sich die helle Aufregung um Junes Genesung im Pflegeheim gelegt hat, macht sie sich schon selbst auf den Weg zu ihrem Haus. Das allerdings mittlerweile verkauft wurde. Doch June kann auch diese bittere Überraschung nicht aufhalten. Dem Mädchen, dessen Eltern das Haus gekauft haben, schwatzt sie einen Schluck Wasser und ein Kleid ab. Dann geht es mit der Tochter Ginny (Claudia Karvan), die sie endlich gefunden hat, im Eiltempo zum Sohn Devon (Stephen Curry). Der ist nicht mehr der Klassenbeste im Architektur-Studium, sondern geschieden und arbeitet in einem Copyshop. Was June überhaupt nicht gefällt, weshalb sie umgehend dafür sorgt, dass er gefeuert wird.

Es bleibt in dieser wunderbaren Tragikomödie nicht viel Zeit, sich über die Wiedergeburt von Mutters Bewusstseins zu freuen. Bald fragt sich vor allem die frustrierte Tochter Ginny, ob sie sich überhaupt freuen soll. Wie früher kommandiert und kritisiert Mama gnadenlos mit frecher Schnauze. Dass ohne sie scheinbar alles den Bach runter ging, kann die herrische Diktatorin gar nicht vertragen. Die Familien-Firma für hochwertige, handgemachte Tapeten arbeitet jetzt schäbig mit billigem Papier. Aber die eigenen Designs auch für Geschirr zu verwenden, diese Idee der Tochter landet ganz wortwörtlich im Mülleimer.

Ein kaum anzuschauendes Filmprojekt des Enkels über seine demente Oma zeigt, wie übergriffig solche Zurschaustellungen sein können. Konkret geschehen im deutschen Dokumentarfilm „Vergiss mein nicht – Wie meine Mutter ihr Gedächtnis verlor und meine Eltern die Liebe neu entdeckten" von David Sieveking. „Noch einmal, June" geht nicht den Weg des langsamen Verfalls geistiger und körperlicher Fähigkeiten vieler anderer Demenzfilme. Der plötzliche Zustand vollständiger geistiger Klarheit führt zu rührend komischen Situationen, wie wir sie aus „Zeit des Erwachens" („Awakenings", 1990) vom Mediziner und Autor Oliver Sacks kennen. Robert De Niro spielte damals den „Erwachenden", Robin Williams seinen Arzt, der vorsichtig vor einem Rückfall warnte. Der droht nun auch June, allerdings rasen sie und der Film eine ganze Weile durch Überraschungen, Entdeckungen und Veränderung in der Familie. Sehr rührend bringt der Aktionismus der alten Dame die zerstrittenen Geschwister zusammen. Und belebt eine ganz alte Liebesgeschichte, der ein unglaublich herzzerreißendes Finale gewidmet ist.