14.2.22
Der Pfad
Deutschland, Spanien 2021, Regie: Tobias Wiemann, mit Julius Weckauf, Nonna Cardoner, Volker Bruch, 100 Min., FSK: ab 6
Flucht in die andere Richtung: Von Nord nach Süd trieben die unmenschlichen Verbrechen der Nazis viele Europäer. Zuerst gab das Vichy-Regime jüdischen Vertriebenen etwas Sicherheit. Dann mussten sie von Frankreich nach Spanien, um in Portugal ein Schiff in die freie Welt zu erreichen. Dies erlebt 1940 der zwölfjährige Rolf (Julius Weckauf) mit seinem Vater, dem kritischen Journalisten Ludwig Kirsch (Volker Bruch). Aus dem von den Nazis kontrollierten Europa führt ein Gebirgs-Pfad von Südfrankreich nach Spanien über die Pyrenäen in die Freiheit. Dann möglichst nach New York, wo bereits Rolfs Mutter Katja (Anna Maria Mühe) wartet.
Die kluge Einführung des gelungenen Kinderfilms „Der Pfad" holt die Kleinen kindgerecht am Mittelmeer-Strand ab. Der entspannte Spaziergang vom Vater und dem Sohne wird begleitet von einem Spiel: Wer von den leicht bekleideten Badegästen sei wohl gut, welcher böse? Der junge Mann in Badehose liegt auf seiner SS-Uniform – besser schnell abhauen. Doch das Thema wird im Film verfolgt und führt zu einer Antwort, die viele Hollywood-Filme nicht leisten: Die Welt ist nicht nur schwarz-weiß.
Von Paris geht es nach Marseille, von dort mit gefälschten Pässen zum französischen Grenzort Banyuls-sur-Mer am Fuß der Pyrenäen. Immer dabei Rolfs Terrier Adi und der Roman „Der 35. Mai" von Erich Kästner – handsigniert! Aber hier gibt es Einspruch vom ansonsten der wortkargen und elternlosen Zwölfjährigen Núria (Nonna Cardoner), die Rolf und Ludwig über die gefährliche Trasse führen soll. Der Hund darf nicht mit! Doch Rolf glaubt, klüger zu sein, und packt den von Papas Cognac betäubten Hund in seinen Rucksack. Was erst für spaßigen Ärger sorgt, als ein beschwipstes Winseln den blinden Passagier preisgibt. Dann verrät das unkontrollierbare Tier jedoch die Flüchtlinge. Der Vater gibt sich in die Hände der Häscher, um den Kindern die weitere Flucht zu ermöglichen. Die Zwölfjährigen, die sich nicht gerade grün sind, müssen nun auf sich gestellt weiterkommen.
Diese Flucht und der alte Schmuggler-Pfad über die Pyrenäen sind wahre, schmerzgetränkte Geschichte. Der Kölner Autor Rüdiger Bertram schrieb den Roman „Der Pfad – Die Geschichte einer Flucht in die Freiheit" und das Drehbuch zusammen mit Jytte-Merle Böhrnsen auf der Basis von Erinnerungen der österreichischen Widerstandskämpferin und Fluchthelferin Lisa Fittko („Mein Weg über die Pyrenäen"). Bertram erwanderte selbst den Weg, den auch Walter Benjamin nahm, bevor er sich im katalanischen Portbou ohne Ausreisestempel der Franzosen und ohne Hoffnung umbrachte. Seit 2009 ist diese historische Passage als Wanderroute „Chemin Walter Benjamin" auf französischer beziehungsweise „Ruta Walter Benjamin" auf spanischer Seite markiert.
Rüdiger Bertram, der vor allem Kinder- und Jugendbücher wie „Coolman und ich" veröffentlicht, vermittelt die Fluchtsituation der Nazi-Zeit heutigen Kindern ohne Schock- oder Schreckmomente und weckt Verständnis für andere Flüchtlinge. Anfangs ist der von Volker Bruch („Babylon Berlin") gespielte Vater Ludwig eine Bastion der Sicherheit in bewegter Zeit. Er gibt mit seinem leisen Humor und einem optimistischen Lächeln Rolf und den kleinen Zuschauern Zuversicht. Dann fungiert Erich Kästners Buch dem mutigen Handeln der Kinder als moralischer Leitfaden. Die Frage, weshalb der Kinderroman „Der 35. Mai oder Konrad reitet in die Südsee" Rolfs Lieblingsbuch ist, beantwortet dieser damit, dass darin alles möglich sei.
Der junge Julius Weckauf war der Star in der letzten Hape Kerkeling-Verfilmung, „Caroline Links „Der Junge muss an die frische Luft". Nun geht er wieder den Weg seines Alter Egos - er muss wandern! Und Weckauf erweist sich als tolle Besetzung, kann in traurigen wie spaßigen Momenten überzeugen. Für kindgerechte Auflockerung sorgt Hund Adi, der sich immer mal wieder „mitfreut". Die Scherze um seinen Namen, der wegen der Nähe zu Adolf (Hitler) irritiert, sind dann für die Älteren. Regisseur Tobias Wiemann („Amelie rennt" 2017, „Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen" 2014) inszeniert auch dramatische Momente angemessen: Als das Lager der Widerstandskämpfer, in dem sich Rolf und Núria verstecken, nachts mit Granaten beschossen wird, fragt der Junge ganz naiv: „Was ist das?" Kulisse wie Kostüm erfüllen ihre Aufgabe glaubwürdig. Der Abspann verweist noch einmal deutlich auf die 82 Millionen Menschen, die heute weltweit auf der Flucht sind. 34 Millionen davon sind Kinder.