Südkorea 2012 Regie: KIM Ki-Duk mit LEE Jeong-jin, CHO Min-soo 104 Min.
Handwerk hat blutigen Boden in „Pietà", dem 18. Werk von Kim Ki-Duk, der den Goldenen Löwen beim Filmfestival von Venedig gewonnen hat: In einem alten Baracken-Viertel, das Immobilien-Spekulanten platt machen werden, steht den kleinen Handwerkern die Panik im Gesicht. Denn ein eiskalter Kredithai geht um und Kim Ki-Duk setzt all die Walzen, Pressen und Stanzen in den schummrigen Verschlägen schon so ins Bild, dass sich die Fantasie selbst grausame Strafen ausmalt. Doch die Methode des jungen Geldeintreibers mit dem gemein weichen Gesicht ist besonders pervers: Er verkrüppelt die Schuldner, die nicht das oft Zehnfache der Ausgangssumme zahlen können, um von der Versicherung das Geld zu kassieren. Ein schwer erträglicher Automatismus - und Alltag für den Herzlosen, der sich immer mit einem lebendigen Tier für seine Mahlzeiten belohnt. Ein paar brechen aus, bevor ihnen die Beine unwiederbringlich gebrochen werden: Einer springt vom Hochhaus, ein anderer ist vor lauter Vaterfreuden ganz versessen darauf, seine Hand zu opfern und bietet auch noch die zweite an.
Ist dies schon ein christliches Motiv in Anlehnung an die „andere Wange"? Kim Ki-Duk ist in seinen Arbeiten christlich, auch wenn diesem Glauben in Korea nur eine Minderheit anhängt. Als eine geheimnisvolle Frau auftaucht und dem sadistischen Killer erzählt, sie sei seine Mutter, wird das klassische Pietà-Motiv ganz neu durchkonjungiert. Die Prüfungen des misstrauischen Mannes sind extrem, schockierend und pervers. Doch irgendwann glaubt er, lässt sich mit Essen und Haushaltsarbeit bemuttern, zeigt eine plötzliche Sehnsucht nach Liebe, wo er doch vorher auch beim Sex mit sich selber allein blieb. Parallel wird in einem der Handwerks-Schuppen die Geschichte eines verzweifelten Schuldners erzählt, der seiner Mutter einen letzten Brief schreibt. Die Gnade der Pietà vermischt sich mit kalt geplanter Rache...
Das Gegenstück zur bekannten Ikonografie der Pietà mit Maria als „Mutter Gottes", die den toten Jesus im Schoß hält, ist bei Kim Ki-Duk ein Dreier im Grab: Leben und Tod nebeneinander, ebenso Mutter und Sohn - einmal echt, einmal falsch. Ein grausiges Bild, das nur noch von der sehr langen Schlusseinstellung übertroffen wird. Eine weitere Mutter schleift unwissentlich eine atemberaubend lange Blutspur durch die Straßen, der wohl längste und makaberste Bußgang der neueren Filmgeschichte. Ja, auch dieser, der 18. Kim Ki-Duk („Frühling, Sommer, Herbst, Winter... und Frühling", „Bin-Jip") ist brutal wie seine frühen Filme - für Neueinsteiger in sein Werk mehr als für die bereits Bekehrten. Der Südkoreaner, der alles gewonnen hat und eine schwere Depression zuletzt in „Arirang", der Dokumentation seiner selbst verarbeitete, realisierte eine besonders raffinierte Form von Schuld und Sühne. Im großen Ganzen und im Detail: Dass ein freigelassenes Kaninchen auf der Straße überfahren wird, ist ebenso bitter wie das hässliche und gemeine Wrack, das aus dem einst freudigen Vater wurde. Solch bis in die Nuancen gebrochene Reflektionen lassen Kategorisierungen wie Kapitalismus-Kritik, Immobilien-Spekulation oder Gangster-Film zu kurz kommen. Wenn auch in seinen digitalen Bildern nicht so kunstvoll wie der buddhistische „Frühling, Sommer, Herbst, Winter... und Frühling", zeigt sich „Pietà" erzählerisch und im mutigen Spiel mit religiösen und kulturellen Klischees als Meisterwerk, das den Preis und den Applaus von Venedig voll und ganz verdient.