30.5.06
Flug 93
USA 2006 (United 93) Regie: Paul Greengrass mit Khalid Abdalla, Lewis Alsamari, Omar Berdouni 110 Min. FSK: ab 12
Es war klar, dass die Attentate vom 11. September 2001 in den USA eine ganze Reihe von Filmen zur Bewältigung, zur Ausbeutung und zur Geschichtsschreibung nach sich ziehen würden. Angesichts des Schocks in den USA gab es eine Schamfrist, doch jetzt folgen 9/11-Filme dicht aufeinander. Oliver Stone kümmert sich um das getroffene World Trade Center und bereits zwei TV-Filme (darunter "Flight 93") begleiteten den Flug der United Airlines 93. Nun wagte sich der Brite Paul Greengrass an dieses heikle Thema und bietet dank dramaturgischer Zurückhaltung eine Folie für die verschiedensten Gefühlslagen und Weltsichten an.
Der betreffende United Airlines-Flug wurde am 11.September als viertes Passagierflugzeug gekapert, als das World Trade Center (WTC) schon getroffen war. Flug 93 erreichte nie das Ziel der Entführer sondern stürzte in einem freien Feld südöstlich von Pittsburgh in Bundesstaat Pennsylvania ab. Was im Flieger geschah, bleibt Spekulation, obwohl viele Anrufe von Passagieren nach draußen drangen.
"Flug 93" beginnt mit den Vorbereitungen der Entführer, eine unruhige Schein-Dokumentation der Betriebsamkeiten vor und um den Start. Den ersten Einschlag ins WTC erleben wir aus der Flugkontrolle, wo mehrere Meldungen von gekidnappten Flugzeugen einlaufen und für extreme Unruhe sorgen. Erst spät wird der Flug United 93 gekapert, wechselt die Handlung mehr und mehr ins Flugzeug. Hier sorgt auch eine Handkamera für Unruhe. Die Montage ist wie bei Oliver Stones "J.F.K." zu hektisch, um irgendwelche Gedanken aufkommen zulassen, nur die sehr sparsam eingesetzte Musik dräut ein Ahnung von Tragik herauf. Eine erste Steigerung der Aufregung gibt es bis zum zweiten Einschlag in New York.
Greengrass, der für seinen ähnlich gefilmten Nord-Irland-Film "Bloody Sunday" den "Goldenen Bären" erhielt, gelingt das Kunststück, melodramatischen Klischees nicht zu verfallen. Die bei Katastrophenfilmen üblichen Hintergründe der Betroffenen wurden auf ein Minimum beschränkt. Wir lernen niemanden persönlich kennen, die schon zur Parodie ausgereizten Kranken und Zerstrittenen unter den Passagieren bleiben uns erspart.
Aber auch weiterreichende Stellungnahmen bleiben aus. Nur ganz vereinzelt kann man die patriotischen Parolen ausmachen, die seit 2001 die ganze Erde mit weiteren Kriegen und hausgemachter Terrorpanik überzogen haben. Wenn der letzte Satz den martialischen Fox-Slogan "Americas War on Terror had begun" (Amerikas Krieg gegen Terror hat begonnen) nachbetet, mögen das die einen als gerechtfertigten Aufruf zur Rache empfinden. Die nicht so politikgläubigen lesen das Menetekel einer verheerenden Reaktion auf der Basis ganz anderer Interessen wie Machterhalt und Eroberung von Ölgebieten.
Es gibt keine Helden, die Entführer erledigen genau so ihren (dramaturgischen) Job wie die Menschen der Flugaufsicht. Man hasst nicht die einen und fürchtet seltsam wenig um die anderen. Als Höhepunkt der Distanzierung bleibt der Ton in den letzten Sekunden vor dem Absturz weg. Kein lauter Knall, nur umso treffenderes Schwarzbild lässt die Zuschauer unbestimmt zurück.