Die Goldene Palme für seinen irischen Widerstandskampf "The Wind That Shakes The Barley" ist ein verfrühtes Geburtstagsgeschenk für den fast siebzigjährigen Briten Ken Loach. Vielleicht auch eine Wertschätzung seines politisch engagierten Lebenswerkes. Der wichtigste Filmpreis der Welt sendet nebenbei ein filmpolitisches Signal nach Nordrhein-Westfalen, das den Siegerfilm mitfinanzierte: Nach den angekündigten Kürzungen von 20 Prozent bei der Filmstiftung NRW wird es solche Erfolge nicht mehr geben.
Am Sonntagabend verkündete die Jury um den chinesischen Regisseur Wong Kar-Wai die Palmen-Sieger des 59. Internationalen Filmfestivals (17.-28.5.) und entschied sich für politisch aussagekräftige Beiträge. Ästhetisch mutigere Filme gingen dabei leer aus.
Mit „The wind that shakes the barley“ analysiert und dramatisiert Ken Loach drastisch den Kampf der Iren gegen brutale britische Kolonialisten im Jahre 1920. Aber auch den Niedergang der Utopie einer sozialistischen irischen Republik lässt der alte Linke nicht aus. Nach erschütternden ersten Szenen von Unterdrückung, Folter und Exekution macht Loach klar, dass bei solchen Befreiungskämpfen alle Blut an den Händen haben. "The wind that shakes the barley“ (der Titel entstammt einem Gedicht von Robert Dywer Jones) erzählt bewegend sowie sozial und historisch genau. So wie man es von Ken Loach aus vielen anderen Filmen wie "Land and Freedom", "My Name is Joe" oder "Carla's Song" kennt.
Krieg spielt auch in "Flandres" von Bruno Dumont, dem verstörenden Gewinner des Großen Preises, eine Hauptrolle: Nach "La vie de Jesus" und "L’humanite" wieder simple, erdige Menschen aus dem platten Norden Frankreichs, da wo schon fast Belgien ist. In einer seltsam anachronistischen Männer-Bewegung ziehen all die dumpfen jungen Typen des Dorfes in irgendeinen arabischen Krieg. Sie morden, quälen und vergewaltigen dort, erhalten bis auf einen ihre gerechte Strafe und überleben es nicht. Derweil ist zuhause eine gleichartige moralische Degeneration zu sehen.
Bewährt exzellent berührte Pedro Almodovar diesmal mit seiner Komödie "Volver", für die es den Drehbuch-Preis gab und den Darstellerinnen-Preis gleich für die ganze spanische Damenriege um Penelope Cruz und Carmen Maura. Auch bei den Herren wurde ein ganzes Ensemble ausgezeichnet: Die Darsteller, die im recht konventionellen Kriegsfilm "Indigène" den aufopferungsvollen Einsatz französischer Soldaten aus Marokko und Algerien im Zweiten Weltkrieg verkörpern. Schon früh zeigt sich diskriminierender Undank, der zu einem jahrzehntelangen Skandal auswuchs. Der Mexikaner Alejandro González Inarritu ("Amores Perros"und "21 Grams") erhielt für "Babel", einen Film über die Globalisierung des Schmerzes, den Regie-Preis: Drei Episoden, sechs Welten, raffiniert zeitversetzt gezeigt und tragisch miteinander verbunden.
Cannes 2006 zeigte sich in einem überaus vielfältigen und mutigen Wettbewerb von der besten Seite: Reihenweise berühmte Regisseure und Star, sowie eine verblüffende Themenvielfalt. Private Familiendramen bei Almodovars "Volver", der irische Bürgerkrieg bei Ken Loach, der Einsatz der französischen Araber im 2. Weltkrieg ("Indigenes"), die Verrohung ("Flandres") und die Kommunikationsunfähigkeit ("Babel") der Menschen, garstige Geldeintreiber ("L'amico di famiglia") und rosarote Königinnen ("Marie Antoinette"). Überraschungen und Sensationen wie etwa "Southland Tales" von Richard Kelly ("Donnie Darko") wurden nicht gewürdigt.
Die recht dünne Präsenz deutscher Filme hat niemand wirklich gestört, die nationalen Produzenten halten still und warten auf Regierungs-Entscheidungen in Sachen Steuerbefreiung. Da ist es fast ein Hohn, dass die Filmstiftung NRW mit der Goldenen Palme einen ihrer größten Erfolge feiert und gleichzeitig einer groben Kürzung von 20 Prozent entgegenblickt. Cannes demnächst ohne NRW-Beteiligung? Vermissen wird das dort keiner - vielleicht bemerkt zu spät jemand, dass dann Arbeitsplätze an Rhein und Ruhr fehlen.