Welch Filmkombination im Wettbewerb: Ein rosarotes Mädchen-Märchen über Marie Antoinette von Coppola-Tochter Sophia. Und der pech-schwarzen Arbeitslosen-Realismus La Raison du plus faible des Lütticher Regisseurs Bruno Dumont. Cannes kann das alles locker in Palast und Wettbewerb unter ein Dach bringen es ist und bleibt halt das größte Filmfestival der Welt!
Lost in Tradition!
Das kommt die mittlerweile als Regisseurin anerkannte Coppola-Tochter Sophia (Lost in Translation) nach Frankreich und will den Söhnen und Töchtern der Barrikaden-Kämpferin Marianne erzählen, die verhasste und bei der Französischen Revolution geköpfte Marie Antoinette sei gar nicht ihre verprassende, abgehobene Königin gewesen. Wie in ihrem Erstling Virgin Suicide kreiert die junge Filmemacherin vor allem eine Atmosphäre, ein Schweben in luxuriöser Einsamkeit; absurder Repräsentationszwang und rockige Ausbrüche daraus. Die junge österreichische Prinzessin Marie Antoinette (Kirsten Dunst) wird als fröhlicher Teenager aus politischen Gründen mit dem französischen Thronfolger verheiratet. Die Regeln des Hofes von Versailles machen ihr ebenso zu schaffen, wie ein völlig desinteressierter Gatte, der ihr eigentlich noch ein paar Thronerben zeugen sollte. Schwelgen in Luxus und unzähligen schicken Schuhen dient dem Frustabbau, das weiß Brigitte, Imelda Marcos und jedes weibliche Kind. Dass draußen die Menschen verhungerten, weiß man in diesem Film nicht unbedingt, auch die Hinrichtung Marie Antoinettes wurde ausgeblendet wir wollen doch keine Flecken im Barbie-Puppenhaus. Ob das noch Arthouse ist, muss sich zeigen. Der Nachfolger von Lost in Translation wird es schwer haben
Friede den (Stahl-) Hütten
Irgendwie grauer sieht es in Lüttich aus, der wallonischen Krisenstadt, die ja von den Dardenne-Brüdern immer so nüchtern in Film gesetzt wird. Die Doppel-Sieger von Cannes hatten gerade nichts fertig, da nahm man La Raison plus faible (Das Recht des Schwächsten) einen Film von Lucas Belvaux, der schwächer ist und deshalb eigentlich kein Recht auf den Wettbewerb haben sollte: Drei ehemalige Stahlarbeiter, einst die Aristokraten der Arbeiterschicht, jetzt arbeitslos, darben in Armut, reden von Vieux temps (Alten Zeiten) und trinken das gleichnamige Bier. Als ein befreundeter arbeitsloser Akademiker seiner schwer schuftenden Frau nicht mal ein gebrauchtes Moped kaufen kann, rauben sie das Geld, das mit dem Ausschlachten ihrer alten Fabrik gemacht wird.
Bei der britischen Sozial-Komödie würden wir jetzt raffinierte Ideen und letztendlich ein Happy End erleben. Im Lütticher Stadtteil Droixhe geht alles richtig den Bach (die Maas) runter. Wie in billigen tragischen Krimis der Sechziger stirbt der Held (Regisseur Belvaux selbst) durch die Polizeikugel. Er hat allerdings auch genug dafür getan! So gefallen zwar die Einführung ins Milieu und die Gang der Verlierertypen, aber die Handlung wirkt arg vorgestrig.
So facht man keinen Klassenkampf an. Trotzdem sollte Cannes vorsichtig sein, immerhin feiert sich das Festival ja am liebsten auch in einem Palast, wie der von Marie Antoinette. Der hat jedoch schon 1968 seine Revolution erleben müssen. Die jungen Wilden um Truffaut und Godard stürmten, verlangten einen neuen, anderen Film. Und bekamen die Quinzaine de Realisateurs, die - zwar an den Rand gedrängt - vortrefflich blüht.
Doch es bleibt eine völlig überkomme Geschichte, wie in Cannes Film goutiert wird, mit Ritualen ebenso albern wie die Morgentoilette von Antoinette vor blaublütigem Publikum. Die Herrschenden glauben hier immer noch, zum Filmekucken brauche man einen albernen Anzug und Fliege. Nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen benötigt man dazu allerdings nur Augen, Ohren und etwas Verstand!
Doch es scheint, als würden die Menschenmassen vor dem Palast diese amerikanische "Marie Antoinette" feiern und nicht die Bastille stürmen. Denn sie bekommen ja in Cannes Brot und ausreichend (Filmfest-) Spiele.