Zerstrittene Freiheit
Cannes. Gleich zu Anfang des Wettbewerbs trumpfte mit Ken Loach einer der großen, alten Meister auf. Obwohl Loach sich gegen „groß“ wehren würde. Er ist ein kleiner, bescheidener, aber sehr energischer Mann, der nächsten Monat 70 Jahre alt wird. Und er setzt sich ein für die anderen „Kleinen“, für die Hungernden, die Unterdrückten, die Gefolterten und Entrechteten. Immer wieder, im Jetzt und in der Vergangenheit. Mit „The wind that shakes the barley“ schaut der Brite nach nebenan, analysiert und dramatisiert drastisch den Kampf der Iren gegen brutale britische Kolonialisten. Aber auch den Niedergang der Utopie einer sozialistischen irischen Republik lässt der alte Kämpfer an der filmischen Rotfront nicht aus.
Im Irland des Jahres 1920 beginnt es harmlos mit einem Hockey-Spiel der Männer auf dem Feld. Und endet mit dem grausamen Tod eines jungen Mannes, der sich die Schikane und die Erniedrigungen der englischen Soldaten nicht mehr gefallen ließ, der sich weigerte, seinen irischen Namen englisch auszusprechen. Nach nur zehn Minuten will man nie wieder einen britischen Pfund in London oder sonst wo im British Empire ausgeben. Nach einer halben Stunde ist man bereit, alle Queen Mum und Princess Diana-Tassen dieser Welt zu zerschmettern, so wirkungsvoll lässt Loach sein Publikum, die Unterdruckung, die Folter und die Exekutionen erleben!
Doch „The wind that shakes the barley“ (der Titel entstammt einem Gedicht von Robert Dywer Jones) ist kein verlogenes Hollywood-Märchen von Unterdrückung und Befreiungskampf. Mit dem jungen, engelsgesichtigen Mediziner Damien (Cillian Murphy) fühlt man auch, was es heißt, Menschen für die eine oder andere politische Direktive umzubringen, wie sehr die Seele daran verkrüppelt, wenn das große Ziel den Mitmenschen zur eliminierbaren Spielfigur macht. Nicht nur die frühe IRA und die Briten bringen sich und die Menschen dazwischen um. Später – als die Briten Irland (nicht Nord-Irland!) schon verlassen haben - geht das Morden zwischen den Fraktionen der Befreiungskämpfer weiter, klassisch angelegt im Kampf zwischen Damien und seinem älteren Bruder Teddy (Pádraic Delaney).
Historische Genauigkeit zeichnet diesen zeitweise konstruiert wirkenden Loach aus, etwa darin, nicht die jungen britischen Soldaten als Bösewichte zu zeichnen, sondern die herrschende Schicht der Ausbeuter verantwortlich zu machen. So wäre es fast putzig, wenn es nicht so grausam wäre, zu sehen, wie Amateure des Guerilla-Kampfes es mit einer Armee aufnehmen, die seit Jahrhunderten in Ausbeutung und Unterdrückung von Völkern weltweit spezialisiert ist.
Für solche bewegenden und erhellenden Momente liebt man Cannes dann wieder besonders, dass diese zeitlos gültige Analyse, dieser soziale Kampffilm auf dem pompösen Roten Teppich gefeiert wird. Zum Trotz all der Finanzierungsprobleme, die Loach mit seinen Themen hat. Ausgeholfen hat erneut die Filmstiftung NRW, zum Glück nicht mehr aus Rache des Rheinlandes für die Besetzung durch die Franzosen. Auch in Sachen Filmförderung sind wir inzwischen alle Brüdervölker.