BRD 2019 Regie: Christian Alvart, mit Trystan Pütter, Felix Kramer, Nora Waldstätten, Marius Marx 129 Min. FSK ab 16
Schmutzige Engel von Charlie
In einem fremden Land, in ferner Zeit siedelt der Krimi-Spezialist Christian Alvart („Antikörper", „Dogs of Berlin", „Steig. Nicht. Aus.") einen grandios düsteren Thriller an, der sich atmosphärisch mit Hollywood und bei den Abgründen mit den Skandinaviern messen kann.
Strafversetzt ganz in den Osten, wird 1992 der zurückhaltende Hamburger Kommissar Patrick Stein (Trystan Pütter) im verfallenen Kaff Löwitz mit einer Serie von Morden an jungen Mädchen konfrontiert. Sein lauter Partner Markus Bach (Felix Kramer) stammt aus dem Osten, eine schmutzige Stasi-Vergangenheit wird ihm nachgesagt. Am Schießstand des Jahrmarkts werden im coolen Dialog die Ost-West-Vorurteile ausgetauscht. Der wegen seiner Korrektheit versetzte Verklemmte und der korruptions-verdächtige, geradlinige Typ ermitteln überraschend erfolgreich zusammen. Der eine denkt länger nach, der andere ermittelt beim Saufen und packt Verdächtige brutal an. Die ganze Bevölkerung scheint ihnen dabei feindlich gesinnt zu sein.
Regisseur Christian Alvart begeistert von Anfang an mit dem erstaunlichen Verfall einer heruntergekommenen, vergessenen Gegend im Osten, aus der die Menschen nur noch weg wollen. Vor allem für die ermordeten Mädchen waren die Verlockungen von Kapitalismus und Westen tödlich. Da gibt es auch den Vater, der für einen gebrauchten Golf das Glück seiner Töchter verkauft. Die Verschwundenen werden nach ihrem verdächtigen Freund Charlie „Drei Engel für Charlie" genannt.
Über Ostalgie und die Treffsicherheit dieser mehr als nur angedeuteten Diskussion, sollte man in Ruhe diskutieren. Aber als Thriller ist Alvarts Film ein Volltreffer. Vom kantigen Ermittler-Paar, das selbstverständlich innere Spannungen auszutragen hat, bis zur Flusslandschaft mit Schilfinseln bietet „Freies Land" reichlich Schau- und Denk-Material. Der Titel ist selbstverständlich ironisch gemeint, frei fühlt sich hier niemand. Die Fluchtversuche aus dem Gefängnis Löwitz führt zu Situationen wie bei Laura Palmer und „Twin Peaks". Selbst an „Element of Crime", dem Debüt eines Lars von Trier, muss man angesichts der Düsterheit (Kamera: Christian Alvart) denken. Dass diese nicht nur dekorativ bleibt, sondern tief in vielen guten Figuren steckt, macht „Freies Land" knallhart wie die skandinavischen Thriller.
Grandioses Setting mit faszinierend graphischen Luftaufnahmen, reihenweise Charakterköpfe, bedrohliche Atmosphäre, auf der Tonspur tiefes Bass-Brummen wie bei „Massive Attack". „Freies Land" ist ein Krimi-Meisterstück mit gelungenem Bodensatz aus Verelendung des Ostens und tödlicher Verlockung von Arbeit im Westen.