BRD, Schweiz 2019 Regie: Caroline Link, mit Riva Krymalowski, Oliver Masucci, Carla Juri, Justus von Dohnányi, Marinus Hohmann 119 Min. FSK ab 0
Die wundervolle, in jeder Hinsicht gelungene Verfilmung von Judith Kerrs modernem Klassiker „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" ist eine Flüchtlings-Geschichte zur rechten Zeit, wobei letztens die Zeiten leider dauernd rechts sind: Anfang 1933 verkleiden sich die neunjährige Anna Kemper (Riva Krymalowski) und ihr Bruder Max (Marinus Hohmann) beim Fasching noch als Bettelmädchen und Zorro, der gegen die Nazis kämpft. Die brauchen sich allerdings nicht zu verkleiden - sie bleiben einfach in ihren Uniformen und die dummen Gewalttäter, die ihre Eltern ihnen vorleben.
Schon am nächsten Tag erfahren die Kinder, dass sie fliehen müssen: Ihr Vater ist der berühmte Theater-Kritiker Arthur Kemper (Oliver Masucci), der sich auch deutlich gegen Hitler ausgesprochen hat. In zehn Tagen werden die historisch so fatalen Wahlen zum Reichstag vom März 1933 stattfinden, die zig Millionen Menschen das Leben kosten werden. Kemper steht bereits auf der Liste der Menschen, die direkt verhaftet werden sollen. Verfolgt werden sie nicht nur als Sozialisten, sondern auch als Juden.
Nun erzählt der wundervolle Jugend- und Familien-Film die Geschichte dieser Flucht erst in die Schweiz, dann nach Paris und schließlich nach London. Allerdings nicht dramatisch, sondern als kluge und lebens-echte Binnenansicht eines deutschen Flüchtlingskindes, das Armut und Antisemitismus erfährt.
Arthur Kemper ist eigentlich der geniale Kritiker Alfred Kerr und „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" die Erinnerung von Flucht und Ausgrenzung seiner Tochter Judith. Denn - Achtung: Spoiler - sie überlebte Hitlers Nationalsozialismus und wurde als Illustratorin und Schriftstellerin auch vieler Jugendbücher berühmt. Judith Kerr starb erst im Mai 2019 im Alter von 95 Jahren.
Die bei allen Erfolgen vielleicht immer noch unterschätzte Regisseurin Caroline Link („Der Junge muss an die frische Luft", „Nirgendwo in Afrika") setzt den 1971 veröffentlichten Bestseller zurückhaltend und konventionell um, macht dabei aber alles mehr als richtig. Seit „Jenseits der Stille" weiß man, dass sie Kinder ganz hervorragend inszenieren kann. Mit Riva Krymalowski als Anna machte das Casting eine ganz besondere Entdeckung. Sie wirkt natürlich, man nimmt ihr ebenso die naseweise Klugheit ab, wie die kindliche Trauer um das titelgebende Kaninchen-Stofftier, das ihr bei der berichteten Ausraubung der Berliner Wohnung am wichtigsten ist.
Überhaupt ist es ein Genuss, die wunderbaren Menschen aus Kerrs Geschichte so exzellent gespielt miterleben zu dürfen: Die Kempers sind besonders kultivierte Menschen und eine liebevolle Familie, die offen über ihre problematische Situation spricht, wenn das Geld im Pariser Exil nicht mehr für Essen, Licht und Miete reicht. So spüren wir mit, wie es ist, aus einem sehr vertrauten, modernen Umfeld in die Situation eines Flüchtlings geworfen zu werden.
Das alles aber ohne bedrohlichen Nazi-Aufmarsch, ohne künstliches Drama. Stärker in der Geschichte eines sehr klugen, mutigen und optimistischen Mädchens sind die Szenen vom wiederholten persönlichen Abschied vom zeitweiligen Heim, die geistreichen Bemerkungen, die sie als Tochter des unvergleichlichen Alfred Kerr ausweisen.
So gelingen Link und Kerr das Wunder, einen historischen Stoff zeitlos nahe zu bringen und das eigentlich furchtbare Exil als hoffnungsvolle Geschichte voller Kultur und Liebe zu erzählen. Ob in einigen Jahre ein Mädchen von ihrer furchtbaren Zeit im winterlichen Asyl in Griechenland so hoffnungsvoll erzählen wird, ist sehr fraglich.