16.4.12

Im Garten der Klänge

Schweiz 2010 (Nel giardino dei suoni) Regie: Nicola Bellucci 85 Min.

Er schaut sich seine Umgebung mit den Ohren an: Wolfgang Fasser erblindete in seiner Jugend langsam und sammelt heute Geräusche. Der Schweizer ist ausgebildeter Musik- und Physiotherapeut. So sehen wir ihn in der Natur der Toskana mit Blindenhund und speziellem, „sprechendem" Aufnahmegerät, aber auch mit seinen jungen Patienten, die er seit 1999 im Gebäude des Vereins „Il Trillo" behandelt. Die stark autistische und blinde Lucia öffnet sich auf einem Klangbett aus einem komatösen Zustand. Der große, kaum zu bändigende Ermanno stürzte sich bei seinem ersten Besuch auf eine Rehfiepe und kann nun immer wieder mit verschiedenen Instrumenten besänftigt werden. Der dreizehnjährigen Jenny lehrt Wolfgang Fasser, ihren Körper zu beherrschen und zu sprechen. Nur Andrea ist ein besonders schwieriger Fall, er beginnt immer zu weinen, wenn er das Akkordeon hört.

Fasser war in Zürich als Physiotherapeut erfolgreich, hatte ein gutes Einkommen. Doch er zog nach Italien, um etwas Neues anzufangen. Man sieht dem eher unscheinbaren, bescheidenen Endfünfziger keine besonderen Fähigkeiten an. Er spielt etwas Musik, ist im Dorf wohl bekannt. Wesensverwandt fügt der Film „Im Garten der Klänge" ohne großes Aufsehen die Leidenschaften des Therapeuten zusammen, der meint, er verstehe die autistischen Kinder nur, weil er blind ist. Fasser sucht die Antwort auf das Seufzen oder Stöhnen eines Kindes in den Geräuschen der Natur. Sobald er die richtige Resonanz findet, entsteht für das Kind eine neue Harmonie mit der Welt. Der Therapeut sagt es einfacher: „Jedes Kind kommt so daher, wie es ist, und wir machen zusammen die Musik, die dann erklingt." Das Glücksgefühl einer Verbindung von eigener Bewegung mit dem dadurch ausgelösten Klang am Klavier überträgt sich bis in den Zuschauer.

Dabei ist Fassers Aufmerksamkeit und Sorgfalt für kleinste Regungen der behinderten Kinder rührend. Gleichzeitig beeindruckt, wie der Blinde das eigene Leben meistert. Er lässt sich selbst nicht den Mut nehmen, als er auch noch schlechter hört und ein Hörgerät braucht. Traurigkeit klingt nur ganz indirekt aus seinem Inneren, als sein alter Blindenhund stirbt. Weiterhin macht er in einer eine Band mit, in der die Sehenden mit verbundenen Augen spielen.

Die preisgekrönte Dokumentation zeigt den blinden Schweizer Musik- und Physiotherapeuten Wolfgang Fasser bei seiner außergewöhnlichen Behandlung stark behinderter Kinder und beim unerschütterlichen Meistern des eigenen Lebens. Ganz auf diese faszinierende Figur und sein reiches Leben vertrauend, überzeugt der Film ohne weitere Kommentare. Er reiht sich ein in auffällig viele Schweizer Filme zum Thema Musik, von denen nur der herausragende „Across the Borders" über den Experimental-Musiker Fred Frith genannt werden soll.

Der berührende „Im Garten der Klänge" mit ein paar atemberaubend schönen Bildern gehört nicht zu den Dokumentationen, die sich toterklären. Einiges bleibt offen, so sehen wir immer wieder die Wirkung der Musik im Moment. Die fast wundersamen Erfolge in der Entwicklung der Kinder laufen über längere Zeitspannen ab und werden meist von den Eltern referiert. Mit Ausnahme der 13-jährigen Jenny, die im Laufe des Films lernt, verständlich zu artikulieren und schließlich auch alleine zur Schule geht. Dabei war dies in den ersten Szenen nur ein ferner Traum, denn nur mühsam bewegte sie sich an der Hand von Wolfgang in einem holperigen Tanz zur Musik durch den Raum.

Auch überlässt der Film die Einschätzung des besonderen aber sicher auch sonderbaren Menschen Wolfgang Fasser den Zuschauern. Als Einzelgänger ist er zwar im Dorf bekannt, beim Einkauf fragen ihn die Menschen um Rat, aber es ist keine intensivere Beziehung im Film zu sehen. So muss er letztlich wieder ohne Hund mit seinem Blindenstock die Resonanz mit der Welt finden und als Antwort Töne erhalten, die ihn weiterbringen. Das Publikum wird diese besondere Begegnung mit einem Mann und seiner eindrucksvollen Methode auf jeden Fall weiterbringen.