16.4.12

Chronicle

USA, Großbritannien, 2011 (Chronicle) Regie: Josh Trank mit Dane DeHaan, Alex Russell, Michael B. Jordan, Michael Kelly, Ashley Hinshaw 84 Min. FSK ab 12

Es gibt untrügliche musikalische Marker für besondere Geisteszustände: Sollte jemand im Film (oder auch in ihrer Umgebung) plötzlich „Favorite Things" aus „Sound of Music" trällern, ist der Wahnsinn nahe. Siehe Björk in Lars von Triers „Dancer in the Dark". Erklingt Bowies „Ziggy Stardust", weiß man, dass es um Hybris geht: „But made it too far, Became the special man". Bis durch diese Selbstüberschätzung Andrew (Dane DeHaan) gefährlich abhebt zeigt „Chronicle" Superhelden mal wirklich menschlich: Andrew, Matt und Steve wollen einfach nur spielen, nachdem sie von einer unbekannten Struktur in einem Erdloch mit Superkräften ausgestattet wurden.

Telekinetischer Spaß hält fortan das Trio zusammen, erst heben, dann schleudern sie Gegenstände ohne sie anzufassen. Auf dem Supermarkt-Parkplatz verschieben sie Autos und lachen sich über die Suchaktionen der Fahrer schief. Irgendwann heben sie völlig losgelöst (ohne Drogen, Major Tom) ab, Matt hat herausgefunden, wie man sich selbst schweben und fliegen lassen kann. Der Trip durch die Wolken ist atemberaubend! Dass es doch noch super-dramatisch wird, liegt an den persönlichen Anlagen der Teenager, mit denen sie sorgfältig eingeführt wurden: Während Steve (Michael B. Jordan) als charmanter Typ im Mittelpunkt seiner Stufe steht und Matt (Alex Russell) sehr entspannt auf Philosoph macht, ist Andrew der stille Außenseiter mit einem Haufen Problemen. Die Mutter schwer krank, der Vater meist besoffen und gewalttätig. So rastet auch Andrew aus, als ein Raser ihr Auto bedrängt. Der Rüpel landet ferngesteuert in einem See neben der Straße. Danach wird Andrews Vater mit ganz neuen Kräften konfrontiert, von nun an lässt sich der Junge von niemandem mehr etwas gefallen. Selbst von seinen Freunden nicht. Ein weiterer cholerischer Akt und Steve fällt wie vom Blitz getroffen aus allen Wolken. „When the kids had killed the man, I had to break up the band"

„Chronicle" überzeugt nicht nur, weil ganz bodenständige Typen sehr nachvollziehbar mit ihren Superkräften umgehen. Die Entscheidung zwischen Gut und Böse bleibt die gleiche wie in „X-Men: Erste Entscheidung", nur während dort die Effekte überhand nehmen, bleibt die Kamera hier nahe bei den Figuren. Die Kamera, die übrigens fast komplett subjektiv von Andrew geführt wird. Doch diesmal ist dieser eigentlich überkommene Gag (siehe „Cloverfield") stimmig und die „Fliegende Kamera" ganz einfach nachvollziehbar, weil Andrew mit seinen telekinetischen Fähigkeiten die Kontrolle über die Kamera behält, auch wenn sie über ihm schwebt und ihn beobachtet. Das Video-Tagebuch, als das der Film angelegt ist, erobert neue Dimensionen, ohne dass die Logik dieser Perspektive überstrapaziert wird. (Zwischendurch helfen mal die Kamera einer netten Bloggerin und Überwachungsobjektive aus.) Auf der nächsten Ebene beschreibt „Chronicle" gar die Welt als Wille und Vorstellung, lässt aber Schopenhauer mit dem unbedingten Willen von Andrew gewaltig gegen die Wand knallen. Das eindrucksvoll getrickste Finale zeigt Teenage-Rebellion zerstörerischer als Aliens. Und behauptet, nur der Philosoph kann mit Superkräften umgehen. Den beiden jungen Kaliforniern Josh Trank und Max Landis (Jahrgang 1985) gelang ein bei aller Bodenhaftung sagenhafter Film mit „Donnie Darko"-Potential.