BRD 2012 Regie: Philipp Stölzl mit Tom Payne, Stellan Skarsgård, Olivier Martinez 150 Min. FSK: ab 12
Wie blass und leer wäre diese Welt ohne Geheimnisse, spricht der große Arzt und Gelehrte Ibn Sina weise. Nur leider in dem ziemlich flachen deutschen, von der ARD koproduzierten Film „Der Medicus" ohne jedes Geheimnis.
Im dunklen Mittelalter Englands verhindert christlicher Aberglaube die Rettung von Robs Mutter, die an der „Seitenkrankheit" stirbt. Zwar ist der Bader und Quacksalber (Stellan Skarsgård) grade im Dorf, doch die Kirche droht hinter jeder Ecke mit Hexenverbrennung. So folgt der verwaiste Junge dem fahrenden Heiler, während seine Geschwister vom Priester versteigert werden. Bald stößt die Neugierde des jugendlichen Rob (Tom Payne) beim Bader an Grenzen. Der ist ein Einzelgänger ohne Vergangenheit und Entertainer mit gewissen Kenntnissen, die er aber immer nur im Rahmen des kirchlich Erlaubten anwendet. Und selbst dann verprügelt und verbrennt ihn der Mob. Als dem Meister die Erblindung durch den Grauen Star droht, kommt Rob in Verbindung mit jüdischen Ärzten, die schon im 11. Jahrhundert das Auge operieren - ohne Betäubung!
Ein Erlebnis, nach dem der Wissensdurst den englischen Jungen ins persische Isfahan treibt, um dort unter Ibn Sina (Ben Kingsley), „dem Arzt aller Ärzte", Medizin zu studieren. Robs Reise dauert über ein Jahr, welches der Film erstaunlich leicht überbrückt. Apropos Staunen: auch wenn Rob angeblich mehrere unbekannte Welten durchquert und ein damaliges Machtzentrum mit über 100.000 Bewohnern sieht, ins Staunen kommt er dabei wenig und das Publikum so gut wie gar nicht. Besonders fällt das bei den sehr seltenen Landschaftsaufnahmen auf, die tatsächlich wie eingeklebte Postkarten wirken und atmosphärisch leer bleiben. Mitten in der Wüste macht der junge Christ noch seine Tarnung perfekt, indem er sich selbst beschneidet. Denn die Juden werden zwar in Persien nur geduldet und diskriminiert, aber die Christen wurden längst alle verjagt.
Auch die Aufnahme Robs an der Schule, der Aufstieg zum Liebling von Ibn Sina, das riskante Verhältnis zum Schah und die heimliche Liebe zur verkauften jüdischen Braut Rebecca, all das verläuft erschreckend undramatisch. Man hat selten so einen vorsichtigen Film gesehen, der sich unbedingt für das Sonntagnachmittags-Programm empfehlen will. Dazu passen auch die ganz wenigen, vorsichtigen Operationsszenen, die wirklich niemanden erschrecken werden. „Der Medicus" wird selbstverständlich brav chronologisch erzählt. Selbst mit Parallelmontagen, die gerne mal Spannung bringen, hält er sich zurück. Bis auf den einen, wirklich erhellenden Moment, als er den Schnitt durch die Bauchdecke des Schah von innen zeigt, das Licht von Aufklärung und Wissenschaft aufblitzen lässt.
Denn thematisch wäre aus Noah Gordons Roman etwas zu holen. Gerade in einer Zeit des Rückfalls ins Religiöse ist es interessant zu sehen, wie viele Jahrhunderte der Verstand brauchte, um sich vom mörderischen und unterdrückenden (Aber-) Glauben zu lösen. Die Gegenpole zur Wissenschaft, die (mosaischen) Religionen, werden im „Medicus" von den drei Freunden vom Medizinstudium ausdifferenziert. Sehr schematisch verbünden sich gegen diese personifizierte Ring-Parabel die Hassprediger mit mörderischen Nomaden, um die stabile Herrschaft des Diktators (Schah) und damit den Schutz von freier Wissenschaft und Minderheiten anzugreifen. Siehe Ägypten, Tunesien, Jugoslawien usw. Eine, wenn man das Buch nicht kennt, halbwegs unterhaltsame Geschichte in mittelalterlichen Gewand mit ein paar interessanten Kerngedanken. Da war jedoch selbst der nicht wirklich nuancierte „Agora" - von Alejandro Amenábar mit Rachel Weisz - tiefgründiger, packender und vor allem filmisch wesentlich reizvoller.
Philipp Stölzl erweist sich nach „Nordwand" (2008) und „Goethe!" (2010) als zuverlässiger Ver-Filmer. Wie Sönke Wortmann ohne auffällige Handschrift, aber risikolos für große Etats einsetzbar. So wirkt „Der Medicus", der Epos sein will, trotz interessanter Themen und anständiger Ausstattung mit Personal und Kulissen jederzeit flach und banal. Er erzählt Noah Gordons Roman mit einigen Freiheiten nach und hält sich mit eigenständigen Möglichkeiten zurück. Trotz zweieinhalb Stunden langer Laufzeit wirken einige Szenen unfertig, abgebrochen oder holperig. Da wird jedes Kino nebenan Besseres bieten.