Frankreich, Spanien, Belgien 2013 (La vie d'Adele - Chapitre 1 & 2) Regie: Abdellatif Kechiche mit Léa Seydoux, Adèle Exarchopoulos, Salim Kechiouche, Jérémie Laheurte 180 Min. FSK: ab 16
Nachdem der dreifache Cannes-Sieger von 2013 bereits fast überall in Europa gefeiert wurde, darf nun auch Deutschland dieses pure Stück Kino miterleben: Die mit der Goldenen Palme und gleich zwei Preisen für die Hauptdarstellerinnen ausgezeichnete Liebesgeschichte zweier junger Frauen beglückt mit Natürlichkeit in Spiel und Inszenierung. Die Vorlage zu „Blau ist eine warme Farbe" stammt von Julie Marohs Comic „Le Bleu est une couleur chaude".
Die 15-jährige Adèle (Adèle Exarchopoulos) schaut sich in der Schule neugierig um, der Gruppendruck redet ja von nichts anderem als Sex und Beziehungen. Aber ihr Desinteresse hört erst schlagartig auf, als sie Emma (Léa Seydoux) trifft. Irgendwann lässt sich auch die schon etwas ältere, sexuell sehr erfahrene Künstlerin mit den blauen Haaren auf dieses Abenteuer ein. Ohne zu ahnen, dass eine jahrelange, sehr leidenschaftliche Liebesgeschichte draus wird.
Doch neben dem Altersunterschied steht vor allem die Klassen-Differenz dem Glück im Weg: Während die beiden Abendessen bei den jeweiligen „Schwiegereltern" noch komisch daherkommen, wenn Adèle genüsslich - und sinnlich - die Spaghetti vom stolzen Papa mit verschmiertem Mund aufsaugt und dann mit der Etikette bei Emmas reichen Eltern auf Kriegsfuß steht. Schwierig wird es schon mit Emmas Freunden aus Künstlerkreisen, da ist Adèle bereits zur Hausfrau degradiert. In dieser klassischen Rolle wartet sie dann auch zu oft alleine in der gemeinsamen Wohnung auf die vom gemütlichen Heim gelangweilte Abenteurerin mit ihrer Verachtung für die „einfache" Lehrerausbildung der Freundin. Dass die Geliebte dann auch noch das Motiv für viele Gemälde und Akte wird, manifestiert endgültig Emmas Macho-Part.
Der französische Regisseur Abdellatif Kechiche erhielt 2008 nach seinem großen Erfolg „Couscous mit Fisch" zusammen mit Fatih Akin in Aachen die Karlsmedaille für europäische Medien. 2013 wurde er auf dem Olymp des Kinos in Cannes gefeiert. „Blau ist eine warme Farbe", die ersten Kapitel der Lebens- und Liebesgeschichte von Adèle, beeindrucken durch eine lebensnahe Inszenierung. Und durch die beiden umwerfenden, jungen Schauspielerinnen Adele Exarchopoulos und Léa Seydoux. Nicht nur das intensive Spiel in vielen Szenen - das eifrige Sexleben ist da nur eine wenn auch notwendige Randerscheinung - erstaunt bei der zum Zeitpunkt des Drehs erst 19-jährigen Entdeckung Adèle Exarchopoulos. Auch ihre Veränderung vom sehr sinnlichen Backfisch mit geschürzter Oberlippe zur nachdenklichen und verletzten jungen Frau, die tapfer in ihrem einsamen Leben steht, ist eindrucksvoll. Léa Seydoux hatte sich da schon eine Weile auf den Rang einer der jungen Leinwand-Göttinnen Frankreichs gespielt: Allein ihre letzten deutschen Kino-Auftritte mit der Hauptrolle in „Leb wohl, meine Königin!", der nicht ganz echten Schwester in „Winterdieb", der schönen Pariserin in „Midnight in Paris" oder der Killerin in „Mission: Impossible - Phantom Protokoll" machen die Varianz ihres Könnens deutlich. „Grand Central" von Rebecca Zlotowski, der sie als AKW-Arbeiterin zeigt, ist hier leider noch gar nicht herausgekommen.
In Cannes teilte sich die Begeisterung für „Blau ist eine warme Farbe" in zwei Gruppen auf: Die einen hätten am liebsten die ursprüngliche, längere Version gesehen. (Kechiche wurde wohl von der Festivalleitung gezwungen, auf drei Stunden zu kürzen.) Den anderen hätten zwei Stunden auch gereicht, bei der einen, sehr langen, sehr deutlichen Sex-Szene steckt gefühlt schon zehn Minuten Kürzungspotential drin.