18.12.13

Das Mädchen und der Künstler

 

Spanien, Frankreich 2012 (El artista y la modelo) Regie: Fernando Trueba mit Jean Rochefort, Aida Folch, Claudia Cardinale, Götz Otto 105 Min. FSK: ab 0

 

Wenig Worte, dafür Blicke: Ein alter Mann schweift durch die Natur, verharrt vor einem Baum in voller Blüte. Im Dorf gilt sein Blick den Beinen der jungen Frauen unter knielangen Röcken. Dann marschieren Soldatenbeine durchs Bild. Deutsche Soldaten, die im Sommer 1943 das Dorf am Rande der Pyrenäen besetzt haben. Das wissende Lächeln einer alten Frau, als sie ein zerschrammtes und müdes Mädchen am Brunnen sieht. Wortlos verständigen sich der 80-jährige Bildhauer Marc Cros (Jean Rochefort) und seine Frau Lea (Claudia Cardinale in einer ihrer seltenen Auftritte) darauf, das Mädchen (Aida Folch) als Modell zu engagieren und sie in einer abgelegenen Atelier-Hütte wohnen zu lassen.

 

Es ist spannend anzusehen, wie erstaunt und neugierig die Unwissende in der Hütte die Akte ihrer Vorgängerinnen betrachtet. Dann kommt der Künstler und packt eine lebensgroße Plastik an den Hintern, um sie ans Fenster zu schieben. Den Blick nach draußen gewandt. Seine Anweisungen sind knapp und unpersönlich: Du kannst dich ausziehen.

 

Doch diese Konzentration durch Reduktion hält Regisseur Fernando Trueba nicht lange durch. Wenn der alte Mann dem Mädchen das „richtige Sehen" beibringen will, wird er bei der Analyse einer kleinen Rembrandt-Skizze und der Reflektion über die Kunst des Bildes fast geschwätzig. So wie auch die Film-Bilder trotz der Beschränkung auf Schwarzweiß.

 

Dabei hat die Katalanin bei ihrer Flucht aus den Lagern von Franco wohl schon einiges Grauen gesehen. Was sie zu einer Widerstandskämpferin machte, die andere Aktivisten über die Grenze schmuggelt. Er sorgt sich anscheinend nur darum, dass dabie die Brombeerbüsche wieder ihre Beine zerkratzten. Dann kommt etwas Eifersucht in die Hütte, als der junge Freiheitskämpfer Pierre auch in ihr Bett zieht. Aber dramatisch wird Trueba bis zur Schlussszene nie. Selbst mit einem deutschen Offizier und Kunsthistoriker (Götz Otto), der an Cros' Biographie schreibt, gibt es nur einen Wortwechsel über den kreativen Prozess.

 

Fernando Trueba inszeniert seine Filme immer wieder um Künstler, ob in seinem bekanntesten, dem Oscar-Gewinner von 1993 „Belle Epoque", ob zuletzt in der leidenschaftlichen Jazz-Animation „Chico & Rita" und sogar in der nicht besonders gelungenen Komödie „Two Lovers" mit Banderas und Gattin Melanie Griffith. Wenn er jetzt ein Drehbuch von Jean-Claude Carrière, einem der allerbesten seines Faches, bearbeitet, kann man viel erwarten. Und erlebt eine Enttäuschung hinsichtlich der Komplexität, mit der das Thema durchdrungen wird.

 

Die neugierigen Kinder des Dorfes, die einen Blick auf die unerhörte Erscheinung in der Hütte erhaschen wollen, haben was von dem Blick dieses Films. Eine scheue Annäherung an Körperlichkeit, der ein natürlicher Umgang irgendwie verloren gegangen ist. Mit höchster Kunstfertigkeit in einem eher künstelnden als expressiven Schwarzweiß ereignet sich eine kleine Episode mitten in Krieg, Verfolgung und Besetzung. Ein Film zum Schwelgen im Bild, was auf fast zweistündige Dauer etwas wenig ist.

 

Dass schließlich doch ein Liebesverhältnis und ein gemeinsamer Akt angedeutet werden, ist dann tatsächlich abgeschmackt und lässt den lange widerstandenen Dirty Old Man-Verdacht hinsichtlich Trueba (geb. 1955) wieder aufleben. Das Mädchen und vor allem der Künstler bleiben bis zum Knaller am Ende vorhersehbar. Dies ist halt ein ausgelutschtes Sujet in ausgewählten Bildern.