BRD, Norwegen 2012 (To liv) Regie: Georg Maas mit Juliane Köhler, Liv Ullmann, Ken Duken, Sven Nordin, Julia Bache-Wiig, 97 Min.
Das Wiedersehen mit dem großen Berman-Star Liv Ullmann - und mit Julianne Köhler - entpuppt sich als große positive Überraschung des Kinoherbstes: „Zwei Leben" erzählt als historischer Thriller höchst spannend und als Familien-Drama sehr bewegend von einem verdrängten Kapitel europäischer Geschichte. Als 1989 die Mauer fällt, reist Katrine (Juliane Köhler) eilig nach Ost-Berlin, während sie ihrer Familie in Norwegen einen anderen Aufenthalt vorschwindelt...
Katrine (Juliane Köhler) lebt am Rande der norwegischen Stadt Bergen glücklich mit ihrer Familie. Sie arbeitet in einer Druckerei, ihr Mann Bjarte (Sven Nordin) bei der Marine. Die Tochter Anne (Julia Bache-Wiig) hat selbst gerade ein Kind bekommen und wenn zu viel los ist, hilft Katrines fitte Mutter Åse (Liv Ullmann) gerne aus. Nichts erinnert in dieser naturnahen Idylle mehr daran, dass Katrine einst unter dramatischen Umständen aus der DDR floh und nach der Kriegs-Verschleppung als „Lebensborn"-Kind erst spät zu ihrer leiblichen Mutter in Norwegen zurückfand. Denn die Nazis entführten bei ihrem Rückzug viele Kinder von Norwegerinnen und deutschen Soldaten „heim ins Reich".
Als 1989 mit dem Fall der Mauer die Ordnung Europas durcheinander gerät, erreichen diese Schockwellen auch die friedliche Familie: Katrine reist nicht wie angekündigt nach Oslo sondern nach Ost-Berlin und tritt dort mit Perücke und neuem Outfit als ganz anderer Mensch auf. In geheimnisvollen Begegnungen begibt sie sich auf die Spuren der eigenen Kindheit in einem DDR-Heim. Gleichzeitig bedrängt der junge deutsche Anwalt Sven Solbach (Ken Duken) die norwegische Familie. Er will die Verschleppung der Kinder durch deutsche Soldaten vor ein europäisches Menschenrechts-Gericht bringen und braucht dafür die Aussagen von Katrine und ihrer Mutter. Ein Netz aus Lügen und Geheimnissen zieht sich um die energisch agierende Frau mit der immer rätselhafteren Vergangenheit zu. Dabei drohen die Familienbande zu zerreißen.
Auf der Basis von wahren Begebenheiten, die in Norwegen noch immer große Emotionen auslösen und einem unaufgeklärten Todesfall in Bergen adaptierte Regisseur Georg Maas („The Real World of Peter Gabriel", „NeuFundLand", „Atemnot") selbst mit seinen Koautoren einen Stoff der Romanautorin (Hannelore Hippe). Dabei gelingt es den Filmemachern auf erstaunliche Weise, immer neue Schichten der Historie und der Figuren aufzuzeigen. Immer wieder wird das emotionale Verhältnis zu den Figuren reizvoll anders ausgeleuchtet: Ist Katrine ein Opfer oder schuldig? Und wer sind eigentlich die Bösen? Die Nazis? Die panischen und zu allem entschlossenen Rest-Figuren der Stasi? Die packende Erzählweise bricht ausgrenzende „Wir - Ihr"-Schemata auf, da Identifikationen immer neu und raffiniert in Frage gestellt werden.
Selten sah man einen so spannenden Spionage- und Historien-Thriller mit derart gut und differenziert gezeichneten Figuren verbunden. Das Spiel von Juliane Köhler und Liv Ullmann ist sehr intensiv und prägnant. Für Ullmann, die sofort vom Stoff begeistert war, wurden übrigens die Zeitperspektiven, von denen aus erzählt wird, umgeschrieben, damit ihr Alter glaubwürdig für die Rolle von Katrines Mutter ist. Das Ergebnis ist ein in seiner Story, im Spiel und auch in der Form außergewöhnlicher und sehr bemerkenswerter Autorenfilm, der sein Publikum unwiderstehlich packt und nicht mehr los lässt.