Frankreich, BRD 2013 (Michael Kohlhaas) Regie: Arnaud des Pallières mit Mads Mikkelsen, Bruno Ganz, Denis Lavant, Mélusine Mayence, David Kross, Sergi Lopez, David Bennent 122 Min.
„An den Ufern der Havel lebte, um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, ein Roßhändler, namens Michael Kohlhaas, Sohn eines Schulmeisters, einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit." Dieser erste Satz aus der berühmten Kleist-Novelle über einen entsetzlich Gerechten ist auch mehr als 200 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung von allgemeiner Aktualität: Allzu Gerechte, die mordend und brennend über das Land ziehen, gibt es von der Realität der RAF bis in den Pop neuerer Batman-Verfilmungen.
Im 16. Jahrhundert stößt der erfolgreiche und glückliche Pferdehändler Kohlhaas (Mads Mikkelsen) auf dem Weg zum Markt auf eine neue Zollschranke eines jungen Barons. Kohlhaas zweifelt die Rechtmäßigkeit des ihm aufgezwungenen Passierscheins an, muss aber zwei Pferde als Pfand zurücklassen. Die schönen Tiere und der sie betreuende Knecht findet er später geschunden zurück. Gegen dieses Unrecht reicht der ehrliche Mann erfolglos Klage ein. Seine geliebte Frau will ihm beim Kampf um Gerechtigkeit helfen, wird aber von den Untergebenen der Prinzessin von Navarra lebensbedrohend misshandelt und stirbt. Nun gibt Kohlhaas endgültig sein Gut auf, schickt die kleine Tochter weg und zieht mit Getreuen und Rebellen aus der Bevölkerung auf einen Feldzug gegen die ungerechte Obrigkeit. Brennend und mordend erzwingt er die Wiederaufnahme der Rechtssache, muss aber dafür die Waffen niederlegen. Kohlhaas geht auf die Bedingungen ein, erhält am bitteren Ende Gerechtigkeit - auch für seine Taten.
Anfangs irritiert die neueste Kohlhaas-Verfilmung: Kleists maßloses deutsches Rache-Wesen „Michael Kohlhaas" wurde von Arnaud des Pallières französisch interpretiert und von Brandenburg und Sachsen in die wilde, südfranzösische Cevennen-Landschaft des 16. Jahrhundert versetzt. Anders als vom extrem klaren Kleist-Text her erwartet, galoppieren die Figuren in Natur und Naturalismus herum, was auf eigene Art Eindruck macht: Der Däne Mads Mikkelsen ist hier mit vom Sturm-umtobten Haar sofort Michael Kohlhaas, wir erleben die Verschmelzung zu Mads Michaelsen Kohlhaas!
Die Verpflanzung bringt am Rande mit sich, dass Denis Lavant einen (nicht so genannten) Luther in einem wichtigen und auch hier großartigen Dialog spielen darf. Region und Herrscherhaus stehen in der französischen Geschichte für einen anders mörderischen Religionskonflikt, die Bartholomäusnacht folgt am 23. August 1572. Aber auch ansonsten ist der Transfer überaus gelungen: Man sitzt schließlich angesichts eines terroristischen Übermaßes an Gerechtigkeit mit dem gleichen Schauder im Kino wie im Theater oder vor dem Buch. Die Kamera von Jeanne Lapoirie lässt sowohl ruppige Landschaften als auch bedrückende Innenszenen eindringlich erleben. Mads Mikkelsen trumpft auch mit französischem Text und ein paar deutschen Sätzen (im Original) auf. Es bleibt ein großes Unrecht, dass „Michael Kohlhass" im Wettbewerb von Cannes völlig untergegangen ist.