14.2.09

Berlinale 2009 Preise


Geschichten aus aller Welt

Berlin. „La Teta Asustada“ (Die verdorbene Brust), der Favorit aller Freunde von neuem, ungewöhnlichem Kino erhielt Samstagabend unter großem Beifall den „Goldenen Bären“ für den Besten Film der Berlinale. Der Film von Regisseurin Claudia Llosa („Madeinusa“) war der erste Film aus Peru, der überhaupt im Wettbewerb lief.

Aus der Regie-Jugend und vom Rande der großen Filmzentren kamen die Preisträger der 59. Berlinale (4.-14. Februar 2009). Der erste peruanische Starter im Berlinale-Wettbewerb überhaupt, „La Teta Asustada“ (Die verdorbene Brust), begeisterte mit unverbrauchten Bildern, einer sozial harten Geschichte mit magisch-realistischen Einsprengseln: Die verstörte Fausta muss Geld für das Begräbnis ihrer Mutter auftreiben, weil die Leiche vor der Hochzeit der Cousine aus dem Haus sein muss. Bei einer berühmten weißen Pianistin arbeitet die dunkelhäutige Fausta als Hausmädchen, unter Druck verkauft sie ihren Gesang für Perlen, pro Lied eine Perle. Die junge Frau bestimmt allgegenwärtige Angst. Die über die „Milch der Trauer“ vererbten Erzählungen vom Grauen der Mutter führen dazu, dass Fausta nie allein auf die Straße geht und aus Angst vor Vergewaltigung eine Kartoffel in der Vagina trägt.

Der Hintergrund dieser ungewöhnlichen Geschichte ist historisch: Die 1976 in Lima geborene Regisseurin Claudia Llosa („Madeinusa“), entfernt verwandt mit dem Dichter Vargas Llosa, arbeitet poetisch die bedrückende Vergangenheit ihres Landes auf. Im Zeitraum von 1980 bis 2000 wurden im Bürgerkrieg fast 70.000 Menschen ermordet, Unzählige vergewaltigt und entführt. Die überglückliche Llosa widmete den Preis ihrem Land Peru. Hauptdarstellerin Magaly Solier stimmte bei der Dankesrede ein Lied in Quechuan an, einer traditionellen Sprache in Südamerika, und rührte reihenweise Gäste zu Tränen. Auch die FIPRESCI-Jury des Internationalen Kritikerverbandes gab ihren Preis für einen Wettbewerbsfilm an „La Teta Asustada“.

Im gleichen Jahr wie Claudia Llosa in Lima wurde Maren Ade in Karlsruhe geboren. Ihr nach „Der Wald vor lauter Bäumen“ (2003) zweiter Spielfilm „Alle Anderen“ erhielt einen „Silberner Bären“, den Großen Preis der Jury, ex aequo mit „Gigante“, dem Erstling des 1974 in Buenos Aires geborenen Adrián Biniez. An das impulsiv und authentisch gespielte deutsche Beziehungsdrama auf Sardinien „Alle Anderen“ ging auch der „Silberne Bär“ für die  Beste Darstellerin Birgit Minichmayr, die für die Verleihung extra von ihrem Bühnenengagement in München einflog. „Gigante“, in dem Jara als Sicherheitsmann eines Supermarktes seine Kollegin Julia über die Kontroll-Monitore beobachtet und liebt, erhielt auch den Preis für den Besten Erstlingsfilm sowie den Alfred-Bauer-Preis für die Entwicklung der Filmsprache.

Mehr Zeit auf der Bühne als Adrián Biniez, dem hörbar die Danksagungen ausgingen, verbrachte nur Sotigui Kouyate, die Film- und Theater-Legende aus Mali. In „London River“ von Rachid Bouchareb spielt er einen alten Mann, der nach den U-Bahn-Attentaten nach seinem Sohn sucht. Dem über 70-Jährigen gingen im Berlinale-Palast die weisen Geschichten nicht aus, was zum Running-Gag des Abends wurde.

Der favorisierte deutsche Film „Sturm“ von Hans-Christian Schmid erhielt nur den Preis der Gilde deutscher Filmkunsttheater und den Amnesty International Filmpreis. Der Friedensfilmpreis ging an „The Messenger“, das amerikanische Independent-Drama von Oren Moverman über die „Botschafter“, die den Angehörigen verstorbener US-Soldaten die schreckliche Nachricht überbringen. In Zeiten vermehrter Kriegseinsätze auch für Deutschland ein immer wichtigeres Thema.

Die kaum kritisierten Entscheidungen setzen eine harmonische Jury-Arbeit fort, welche die Jury-Präsidentin, die britische Schauspielerin Tilda Swinton, ausdrücklich lobte. Viele Entscheidungen fielen einstimmig aus - auch wenn der Jury-Notnagel ex aequo zweimal bemüht werden musste. In ihrer Erklärung stellte die Jury fest, dass es „im Wettbewerb dieses Jahr sehr viele Filme gegeben hat, in denen es vor allem darum ging, wie das Verständnis und die Interpretation wichtiger Themen vorangetrieben werden.“ Deshalb habe sich die Jury dazu entschlossen, die Filme und Künstler auszuzeichnen, denen es gelingt, politisches Statement und poetische Form in ein ausgeglichenes Verhältnis zu setzen.