12.3.12

Unser Leben

Großbritannien 2011 (One Life) Regie: Michael Gunton, Martha Holmes 85 Min.

Sehet hin und mehret euch!

Pathos an und Stimme auf Ergriffenheit getunt: Die größten Wunder des Lebens, dieses ewigen Kreislaufs des Werden und Vergehens, dieses Kampfes gegen die Unbill einer gnadenlosen Natur usw. blablabla. Nur als Vorgeschmack und Warnung sei hier die schier unerträgliche Tonlage und das Gesinnungs-Gesabbere imitiert, mit der diese großartige Naturdokumentation zugemüllt wird. Ansonsten ist dieses (nach „Unsere Erde" und „Unsere Ozeane") wiederholte „Best of..." einer BBC-Serie, die auch schon im deutschen Fernsehen gesendet wurde, ein echtes Kinoerlebnis - am besten mit Oropax zu genießen!

In den Top 20 der beklopptesten Tierverhalten sind diesmal Lämmergeier, die mit Knochen werfen, der ganz große Hit. Dicht gefolgt von Delphinen, die das Fastfood erfinden und sich Fische direkt ins Maul springen lassen. Auch klasse, wie die echt hässliche Kieselkröte als sensationeller Stunt-Frosch eine Tarantel abhängt und die Jesus Christus-Echse über Wasser läuft. Als Evergreen dabei, die japanischen Schneeaffen mit ihren menschenähnlich meditierenden Gesichtern
in heißen Thermalbädern und das Ballett der Fischschwärme. Als Neustarter überzeugt das Duett aus Seevögeln, die Mafia-Erpressung nachspielen, indem der eine den anderem am Schwanz packt und so lange in der Luft schüttelt, bis der Fisch wieder aus dem Magen fällt. Gerührt, nicht geschüttelt, sind wir, als das Elefantenbaby droht, im Sumpf zu versinken. Auch wenn Rüsselhündchen und Echse eine Verfolgungsjagd hinlegen, die viele zig Millionen Dollar Produktionen abhängt, wirkt „Unser Leben" wie eine Vorbereitung auf die plattesten Genres des fiktionalen Kinos.

Doch eigentlich will das BBC-Medley der Überlebensstrategien etwas anderes sagen, und beim Stichwort „sagen" wird es kritisch: Angefangen von dem Robbenbaby im nicht mehr ganz so Ewigen Eis spannt sich wieder der Lebenszyklus - man kann jetzt durchaus Elton John im Kopf auflegen - durch die eher wahllose Abfolge von Anekdoten aus der Tierwelt. Eine Weile lang folgt für den Effekt dem winzigen Erdbeerfrosch ein riesiger Gorilla, groß auf klein, witzig auf eindrucksvoll... Dann allerdings packt gnadenlos wie der Biss der drei Gepardenbrüder, die man schon in anderen Filmen gesehen hat, das immer wieder spaßigste Thema, das Jagen und Gejagt werden. Hier wird das Bemühen, sich den kleineren Kinogängern anzubiedern, allerdings auch mal in blutigen Fängen und Klauen zerfetzt.

Aber sitzt da tatsächlich eine Affen-Familie im Thermalbad? Nicht eine Sippe oder ein Klan? Finden die höchst albern balzenden Vögel tatsächlich die „Liebe ihres Lebens"? Hier schreien und weinen die Biologen längst. Doch es kommt noch schlimmer: Als „höher geordneter Zweck" kommt jetzt nicht Gott ins Gespräch, sondern ein „Opferwille der Frau" in Form eines Riesenoktopus-Weibchens, das ihr Leben für ein paar Tausend Eier hergibt. Dieser Gipfel der Rückständigkeit in der Vermenschlichung tierischer Verhaltensweisen wäre auch ein Hit bei den Nazis im Lebensborn gewesen! Die Filmemacher haben eine Meise - nicht im Film, im Kopf. Vor allem vertrauen sie nicht auf ihre sensationellen Bilder, wie es beispielsweise „Mikrokosmos" fast ohne Kommentar tat. Aber hier ist nicht nur der ununterbrochene Redeschwall nervig, die Inhalte sind auch höchst bedenklich. Sehr schade!

Was bleibt, ist die herausragende Qualität der Aufnahmen, die 35 Kameramänner über mehrere Jahre mit enormen menschlichen und technischem Aufwand einfingen. Irgendwann sollte man jemand das Leben der seltsamen Spezies Tierfilmer dokumentieren.