Nina Hoss ist nach „Yella" und der Laura in „Jerichow" wieder die Hauptfigur in einem Petzold-Film. Diesmal ist sie „Barbara", eine hervorragende ostdeutsche Ärztin, die Anfang der 80er aus Berlin in die Provinz strafversetzt wird. Der Klinik-Chef Dr. Reiser (André ist sein Vorname, aber man darf beim belesenen Petzold sicher auch Anton Reiser denken) beobachtet sie seit ihrer Ankunft amüsiert und interessiert. Sie schmollt eigensinnig, die neue aus der Berliner Vorzeige-Klinik Charité. Das wäre romantisch komisch, wenn der Staatsterror nicht so mörderisch ernst zuschlüge: Barabara Wolf (heißt ironischerweise wie eine Kombination aus heiliger Märtyrerin und Geheimdienst-Chef Markus Wolf) hatte einen Ausreiseantrag gestellt. Haft gab es vorher, die Arbeiter und Bauern hätten ihr ja schließlich das Studium bezahlt, jetzt solle sie sich in der DDR dafür revangieren.
Mit einer enormen Detailgenauigkeit haben Petzold und sein Team die DDR rekonstruiert, auch die besonders schäbige Wohnung, die der Staat Barbara zugewiesen hat. Sie selbst mit ihrem roten Schminkkoffer fällt aus der farblosen Tristesse heraus, ganz wie ihre Strümpfe und die Zigaretten aus dem Westen, das Auftreten, das sicher nicht nur in der Provinz als arrogant gesehen werden kann. Die langen Beine, die sie gern zeigt und die Dr. Reiser nicht entgehen. Dabei vermeiden Petzold und sein Kameramann Hans Fromm die übliche düstere Farbpalette für „den Osten", die in „Das Leben der Anderen" oder auch aktuell in „Die Vierte Macht" vorherrscht. Dieses Leben der Anderen - Petzold stammt aus dem Westen - wirkt echt, obwohl das Kunstwerk, das dieser Film auch ist, voller Bedeutungen steckt. Da stürmt die Natur stellvertretend für Barbara, die Perspektiven sind lange verbaut. Zum Meer, das schon in „Jerichow" eine große Rolle spielte, kommt sie spät, zu spät?
Doch nicht die Spannung, ob Barbara die Westflucht schafft, ist das Fesselnde. Den DDR-Zustand von Überwachung und Erniedrigung zu beobachten, ist so packend, dass man Barbara gar nicht unbedingt wünscht, sie könne dem Stasi-Regime entkommen. Die Sprache ist in diesem Sezieren der Verhältnisse extrem exakt: Im Gespräch mit Dr. Reiser in dessen Auto – ihr Verdacht, er beobachte sie für die Stasi ist immer dabei – wundert Barabara sich über die Morphium-Spritze für die tödlich am Krebs erkrankte Frau des Stasi-Offiziers: „Machen sie das öfter?" „Das Sterben erleichtern?" „Arschlöchern helfen?" „ Wenn sie krank sind, ja."
Knapper kann man nicht zusammenfassen, wieso sich Reiser in seiner kleinen privaten (Par-) Zelle mit Gartenkräutern arrangiert hat. Dagegen steht das Entsetzen als Barabaras Liebhaber aus Westdeutschland meint, er würde für sie auch in den Osten ziehen: „Hier kann man nicht glücklich werden!"
Barbara sucht in der Verbannung die eigene Freiheit mit dem Fahrrad, doch immer wenn sie der Kontrolle der Stasi und den Blicken der Nachbarn oder Kollegen entkommt, folgt eine brutale Wohnungsdurchsuchung bis in den Intimbereich der Körperöffnungen. Systematisch soll die Ausbreitung einer Persönlichkeit zerstört werden, bis zu den Fahrradreifen, die Barbara zerstochen auffindet. Der so erzwungene Marsch macht ihr die ungewöhnlich schicken hohen Schuhe zur blutigen Qual. In einem zufälligen Treffen mit einer anderen Geliebten eines Westlers, wird die emotionale Beziehung typisch Petzold auf die reine Ökonomie reduziert: Die abschreckende Steffi mit der dicken Warze im Gesicht ist nur auf Bezahlung aus und sucht sich im Katalog den passenden Schmuck.
Verschiedene Kunstwerke spiegeln die Situation Barbaras: Rembrandts „Die Anatomie des Dr. Tulp" erzählt etwas über die Perspektive auf das und vom Mitleid mit dem Opfer. (Der Film zeigt fast ausschließtlich Barabaras Sicht.) Die von Reiser zusammengefasste Erzählung „Der Kreisarzt" des russischen Schriftstellers Iwan Sergejewitsch Turgenjew (aus der Sammlung von Erzählungen „Aufzeichnungen eines Jägers") bringt die Idee eines Opfers für ein todgeweihtes Mädchen ins Spiel.
Denn mit der aus dem berüchtigten Jugendlager Thorgau entflohenen und in die Klinik eingewiesenen Stella, die rebellisch wie Barbara ist, versteckt sich noch jemand in der Natur. Durch Stella meldet sich später die Dramaturgie etwas lauter im Film zurück und verlangt eine Entscheidung Leben gegen Leben. Bis zum offenen Ende – immerhin noch in der Provinz. Barbara macht ihrem Namen alle Ehre. Die Band Chic kommentiert „At last I am free" (endlich bin ich frei) beim Abspann.