26.3.12

The Music never stopped

USA 2011 (The Music never stopped) Regie: Jim Kohlberg mit J.K. Simmons, Lou Taylor Pucci, Julia Ormond, Cara Seymour 105 Min.

Musik ist die beste Zeitmaschine, das beweisen unzählige „Weißt du noch-Momente" bei vielen Songs. Der wunderbare kanadische Film „C.R.A.Z.Y." nahm beispielsweise den gleichnamigen Hit von Patsy Cline als Grundlage, das schwierige Verhältnis eines Vaters zu seinen Söhnen zu zeigen. Söhne, deren Vornamen sich mit C.R.A.Z. und Y. buchstabieren lassen. Nun erzählt „The Music never stopped" basierend auf der Fallstudie „The Last Hippie" von Dr. Oliver Sacks zwar etwas eindimensionaler aber ebenso rührend von Vater und Sohn, die über Musik wieder zueinander finden.

Am Anfang stand das Lied, bei dem sich Henry (J.K. Simmons) und seine Frau Helen (Cara Seymour) kennenlernten. Hab ich dir schon erzählt... fragt Henry seinen kleinen Sohn Gabriel immer wieder, wenn der Song im Radio erklingt. Dann, Ende der 60er Jahre, zerreißt der Vietnam-Krieg auch diese Familie. Gabriel (Lou Taylor Pucci) haut ab und es dauert zwanzig Jahre, bis er wieder auftaucht. Mit einem Gehirntumor liegt er im Krankenhaus, nach der Operation hat das Gedächtnis stark gelitten, der Patient kann keine neue Erinnerungen aufnehmen, kaum kommunizieren und ist in einem engen Zeitfenster gefangen. In seiner Verzweiflung wendet sich Henry an die Musiktherapeutin Dr. Dianne Daly (Julia Ormond) und der Beatles-Song „All You Need is Love" wirkt Wunder: Gabriel erwacht aus dem autistischen Zustand, beginnt das Lied zu erklären und erzählt von früher. Wobei „All You Need is Love" symptomatisch für die weitere Entwicklung von Vater und Sohn sein wird...

Diese Geschichte erinnert nicht nur ein wenig an „Zeit des Erwachens" („Awakening", 1990), die Verfilmung des Buches vom britischen Neurologen und Schriftsteller Dr. Oliver Sacks mit Robert De Niro und Robin Williams. Das phasenweise Erwachen Gabriels wird ausgelöst von tollen Liedern, aber auch immer mehr von den Grateful Dead, die zu seiner Lieblingsband wurden. Das entsetzte den Vater fast so sehr wie das Verbrennen der US-Flagge oder Gabriels Vegetariertum. In musikalischen Rückblenden zur Schulzeit oder zur eigenen Band entfernen sich die beiden immer mehr. Jetzt, arbeitslos und mit dem Sohn in einer Pflegeeinrichtung, überwindet sich Henry, tauscht die eigene Plattensammlung gegen „Neues", also was aus den 60ern. Täglich hören sie gemeinsam Musik, Gabriel erklärt Bob Dylans „Desolation Row" und auch der Vater verlässt so die Zeit, in der er eingesperrt war.

Schön ist dabei nicht nur das zwischenmenschlich Menschelnde, es macht auch Spaß, wie treffend die Lieder und das Persönliche ineinander greifen. Die Marseillaise steht nicht ohne Grund am Anfang (von „All you need is love"), weil sie auch für Freiheit steht. Für eine kleine Liebesgeschichte gibt es mit Paul Simons „Cecilia" das passende Lied. Der häufige Humor des Films kommt überraschenderweise mit trockenem Witz von Gabriel selbst. Die Besetzung überzeugt auch ohne Star-Glamour mit J. K. Simmons als liebevollem Vater, einem selbst hinter dickem Bart eindrucksvollen Lou Taylor Pucci als rebellischem Sohn und „Fräulein Smilla" Julia Ormond als Therapeutin sehr. Wie immer bei Sacks ist die Geschichte auch populärwissenschaftlich aufschlussreich. So fällt der Patient nur anfangs sofort wieder in Lethargie zurück, später aktiviert die Therapie auch wieder sein Kurzzeitgedächtnis. (Wie Musiktherapie wirken kann, zeigt übrigens sehr schön ab Ende Mai die anders bewegende Dokumentation „Der Garten der Klänge" mit dem Schweizer Wolfgang Fasser.) So hört „The Music never stopped" auch nach dem Filmende nicht auf zu wirken und wird, wenn schon kein Superhit, so doch ein Evergreen, den man immer wieder auflegen kann.