Frankreich 2011 (Les Neiges du Kilimandjaro) Regie: Robert Guédiguian mit Jean-Pierre Darroussin, Ariane Ascaride, Gérard Meylan, Marilyne Canto 90 Min.
Ein kleines Glück in Marseille: Selbst als Michel (Jean-Pierre Darroussin) am Hafen entlassen wird, beziehungsweise sich als echter Gewerkschaftler bei der Job-Lotterie lieber selbst entlässt, als dass ein anderer dran glauben muss, ist er nicht frustriert. Er hat sein Häuschen mit Dachgarten, die tolle Frau Marie-Claire (Ariane Ascaride), die Kinder, die Enkel und seinen Kumpel Raoul (Gérard Meylan). Der 30. Hochzeitstag ist eine herrlich rührende Feier, bei der alle in Pascal Danels Chanson „Les Neiges du Kilimandjaro" einstimmen. Dazu gibt es als Geschenk eine Reise. Doch Michel und Marie-Claire werden wie wir in diesem Film den Kilimandscharo nie sehen, denn sie abends beim Kartenspielen mit Raoul und dessen Frau Denise rauben sie zwei maskierten Männern aus. Michel wird an der Schulter verletzt, das seelische Trauma ist heftig, aber ein alter Helden-Comic, der auch geraubt wurde, führt ihn schnell auf die Spur eines Täters. In dem Film, der immer wieder überrascht, erleben wir nun den jungen, ebenfalls entlassenen Kollegen Christophe (Grégoire Leprince-Ringuet), der sich rührend um seine beiden kleinen Brüder kümmert, weil die Mutter nie da ist.
Erst jetzt bricht für Michel eine Welt zusammen, doch bald reut ihn wieder die Anzeige. Wie sagte seine Frau: Es kann anstrengend sein, mit einem Helden zusammen zu sein. Aber auch dem Helden der Arbeiter-Solidarität steht ein schwerer Lernprozess bevor. Fast symbolisch trägt er den Arm in der Schlaufe, während ihm der inhaftierte Christophe trotzig die Leviten liest. Was er sich denn auf seine korrupte Gewerkschaft einbilde und überhaupt seien sie ja längst arrivierter Mittelstand. Die immer etwas klügere Marie-Claire hält dagegen, dass sie glücklich sind, ohne andere verletzt zu haben. Wie auch schon früher, bei einem Vortrag über die Schwäche der Männer, mit einem unwiderstehlichen Lächeln.
Als echter Sozialist bereut Michel es sogar, dass der Räuber ins Gefängnis kommt - er sei doch auch nur ein Arbeiter - und kümmert sich nun um die kleinen Brüder des Diebes. Denn die scharfe und bittere Analyse über den Zustand der Arbeiter-Solidarität ist eng verwoben mit Komödie und Liebesfilm, wenn auch Marie-Claire heimlich für um die beiden Verwaisten sorgt. Das ist so rührend, so unglaublich aus der Zeit gefallen und deshalb noch schöner. „Der Schnee am Kilimandscharo" reiht sich ein in Filme aus dem echten Leben, die moralische Fragen sehr spannend und ernsthaft betrachten. Der alte Linke Robert Guédiguian, läuft wieder in Marseille, im Stadtviertel L'Estaque, einem alten Fischerdorf, zu großer Form auf und ist in einer Liga mit den Dardennes, mit Ken Loach und Mike Leigh. Solidarisch spielt er erneut mit seinen vertrauten Schauspielern, denen er nicht erst seit seinem ersten internationalen Erfolg „Marius und Jeannette - Eine Liebe in Marseille" (1996) treu ist.
Zusammen gelingen ihnen lauter wunderbare Szenen der Rührung, der Freude und des Nachdenkens. Da mixt ein sagenhafter Kellner seine Muntermacher sehr philosophisch und hat sogar etwas für den Kummer des Lebens. Selbst Christophes Mutter (Karole Rocher) kommt in einer heftige Einlage auch etwas zu ihrem Recht und wird nicht pauschal verurteilt. Ein Mahnmal gegen Egoismus, ein Zeichen gegen Globalisierung und liberale Phrasen, inspiriert von „Les Pauvres Gens", einem Gedicht von Victor Hugo. Wenn Michel und Marie-Claire in der Schlusssequenz die menschlichen Gazellen und Nilpferde am Strand vor der Haustür betrachten und erkennen, dass sie gar nicht wegwollen aus ihrem kleinen, ehrlichen Glück, dann lässt sich die Quintessenz auch auf den Film übertragen, der Erkenntnis und Glück im echten Leben vor der Haustür findet.