10.9.09

Venedig 2009 Soul Kitchen von Fatih Akin, Favoriten

Soul Kitchen

 

Von Günter H. Jekubzik

 

Venedig. Beseelt von echter Freundschaft, guter Musik, gutem Essen und selbstverständlich auch gutem Film, eröffnete Fatih Akin sein „Soul Kitchen" zum Ende des Wettbewerbs der „66. Mostra Internationale d'Arte Cinematografia" in Venedig (2.-12.9.2009). Der Film über eine kultige Esskneipe in Hamburg verbindet eine starke Brüdergeschichte, Romantik, Musik und Zeitgeschichte einer Stadt im Wandel zur Unterhaltung, die vielleicht mehr Laune als Preise macht.

 

Perfekt passt der neue Film von Fatih Akin ins diesjährige Wettbewerbsprogramm, das sich sehr populär zeigt, ohne banal oder oberflächlich zu sein. „Soul Kitchen" macht definitiv gute Laune und der Startplatz im Wettbewerb zeigt, wie sehr der Hamburger Filmemacher international angesehen ist. Auch wenn er vor dem Abschluss seiner großen Trilogie (mit „Gegen die Wand", „Auf der anderen Seite") nur einen „kleinen Film zwischendurch" machen wollte. Es wurde nach eigenem Bekunden sein härtester – was man dem schwungvollen Szene-Spiel nicht ansieht.

 

Alles dreht sich um das Restaurant Soul Kitchen, das Zinos (Adam Bousdoukos) in einer heruntergekommen Ecke Hamburgs betreibt. Vielleicht dreht sich zu viel um den Laden, denn seine Freundin Nadine (Pheline Roggan) zieht nach Shanghai um. Gleichzeitig verschrecken die neuen Kreationen des verrückten Kochs und Messerwerfers Shayn (Birol Ünel) das Wiener Schnitzel-Stammpublikum. Auch Zinos' Bruder Illias (Moritz Bleibtreu), ein Häftling auf Freigang, sorgt mit seiner lässigen Nichtstuerei für Ärger. Finanz- und Ordnungsamt haben viele Beschwerden. An all dem verhebt sich Zinos ganz konkret und humpelt mit Bandscheibenvorfall durch die weitere Handlung. Doch aus diesem Chaos entwickelt sich eine Erfolgskneipe mit toller Gemeinschaft, satter Soul-Musik und herzlichen Dramen.

 

Während „La Paloma" in vielen Varianten auf der Tonspur segelt, legt Film-DJ Fatih Akin klasse Szenen auf die Platte: Da ist Bleibtreu, der als Abziehbild des nutzlosen Mackers beginnt, aber sein Herz an die knallharte Kellnerin Lucia mit ihrer Uma Thurmann-Frisur verliert. Wie er sich jetzt als Kellner und DJ bemüht und zum echten Bruder wird, hat echt Stil. Birol Ünel hat den sowieso und diesmal eine tolle komische Rolle als Koch. Die verstorbene Monika Bleibtreu ist noch einmal als resolute Mutter vom echten Sohn Moritz zu sehen.

 

Neben guten Parts, Szenen (Abschiedsparty mit ganz viel Aphrodisiaka) und Dialogen („Der Grieche auf dem heißen Blechdach") spielt Hamburg eine schöne Rolle: Der ehemalige Karstadt, in dem Fatih Akin seine erste LP gekauft hat, fungiert als cooler Club. In der schicken Speicherstadt scheint es noch illegale Wohnungen zu geben. Die Stadt wandelt sich rasant und der echte Hamburger Jung wollte die Chance ergreifen, seine wilden Jahre noch einmal festzuhalten. Nicht nur das ist gelungen bei diesem Film, mit den Menschen, der Stimmung und der Musik, für die man sich begeistert.

 

"Soul Food", Filme für die Seele, gab es einige in den vergangenen zehn Tagen der Mostra. Soderbergh und auch Werner Herzog erwiesen sich als Meister guter Unterhaltung. Nicolas Cage ist als Herzogs „Bad Lieutenant" der einzige heiße Tipp für die Löwen-Vergabe. Aber erstaunlich sensibel und schnell reagierte Venedig auch auf die brennenden Themen der Weltpolitik: Ein Spielfilm zu den „Green Days", den Protesten um die letzte Wahl im Iran, nur wenige Wochen später im Kino zu sehen, ist nebenbei rekordverdächtig, aber vor allem erneut erschütternd. Hana Makhmalbaf, von der emsigen und wachend Makhmalbaf-Filmemacher-Familie, stellte diesen klugen, ebenso appellativen, wie selbstreflektiven Film aus Handy-Aufnahmen der blutigen Massaker und poetischen Spielszenen zusammen. Damit ist sie sogar stärker als der aufwändige Spielfilm „Women without men" von Shirin Neshat, die den Beginn der Militärdiktatur unter dem Schah 1953 in vier exemplarischen Frauenschicksalen nacherzählt.

 

Dass asiatische Filme unter Festivaldirektor Marco Müller weiterhin erstaunlich stark und gern gesehen sind, ist nichts Neues in Venedig. So brachte sich der Hongkong-Chinese Yonfan mit seinem historischen Drama „Prince of Tears" auf die Favoriten-Liste. Das „Leben der anderen" auf Taiwanesisch erzählt nicht nur (Verrats-) Geschichte, es lässt die „Weißer Terror" genannte Zeit der Unterdrückung in den Fünfzigern auch Propaganda-bunt ästhetisch aufleben. Heftig diskutiert wurde „White Material" von Claire Denis, in dem Isabel Huppert eine uneinsichtige Kaffee-Farmerin in einem ungenannten afrikanischen Land spielt. Zwischen den Fronten von Rebellen und Militär ist in der einzigartigen Ästhetik der Französin nichts, wie man es erwartet. Ein Tipp für die morgige Verleihung der Goldenen Löwen, bei der man bislang keine Ahnung hat, was einen dann an Preisträgern erwartet.