10.9.09

Interview Jan Krüger

 

Die Nahaufnahme im Theater - ein Filmregisseur bringt seine Vision von Intensität auf die Bühne

 

Aachen. Jan Krüger erhielt auf dem Festival von Rotterdam 2004 den „Tiger Award" für seinen ersten langen Spielfilm „Unterwegs". Günter H. Jekubzik traf den Regisseur während der Probearbeit für seine erste Theaterarbeit im Mörgens.  „Habe ich dir eigentlich schon erzählt..." ist ein Zweipersonen-Stück nach Sibylle Bergs gleichnamigem „Märchen für alle", wie es im Untertitel heißt. Vor der Premiere am 17.9. präsentiert Jan Krüger seinen letzten Spielfilm „Rückenwind" am Sonntagabend (13.9.) in der Kneipe „Last Exit" direkt am Mörgens.

 

Wie kamst du als Filmregisseur zum Theater?

Caroline Schlockwerder (Dramaturgin beim Theater Aachen) hat mich nach der Vorführung von „Rückenwind" beim „Made in Europe Film Festival" im März angesprochen, ob ich Lust habe, Theater zu machen und mir zwei Stücke angeboten. Ich hab dann den Roman von Sibylle Berg gelesen (über zwei Jugendliche und ihre Flucht aus der DDR) und auch die Bühnenfassung. Dieses Stück hat eine Perspektive da drauf, die ich so noch nie gesehen habe. Meistens bemühen sich Texte, die Zeit zu vermitteln und auch zu versöhnen. Dieser Text ist nicht politisch korrekt. Er ist sehr subjektiv und damit immer in der Gefahr, missverstanden zu werden. Das empfinde ich als große Herausforderung.

 

 

Es heißt zu dem Stück: „ Hänsel und Gretel im Ostblock - ein Märchen für Erwachsene. Eine doppelte Flucht". Die Beschreibung könnte auch auf deinen letzten Film „Rückenwind" passen?

 

Das war einer der Gründe, weshalb Caroline mich angesprochen hat. Sie kannte den Kurzfilm „Freunde" (Silberner Löwe in Venedig 2001), der von zwei 15-jährigen Jungs erzählt, die auch durchaus nicht spannungsfrei zusammen finden, eine Art tiefere Verbindung zueinander finden und auch wieder verlieren. Anders als man normalerweise denkt.

Deswegen ist es bisher gut geglückt, uns mit den beiden erwachsenen Schauspielern gemeinsam und offen und empfänglich zu machen für Gefühle, die mit Unschuld und Unbeholfenheit zu tun haben. Man wird erwachsen und erlebt einige häufige schmerzhafte Erfahrungen und versucht das zu verstecken. Ich habe eine Lust dran, das wieder frei zu legen.

 

 

In Wikipedia heißt es zu Sibylle Berg, sie „jobbte in verschiedenen Berufen, bis sie nach eigener Aussage das Gefühl hatte, alt genug zu sein." Wie jung oder erwachsen fühlst du dich?

 

Ich bin jetzt 36, das ist eigentlich ganz schön alt, aber trotzdem habe ich immer noch Lust zu probieren und zu spielen hier. Ich würde mich aber nicht als Kindskopf bezeichnen. Regie führen ist auch immer so etwas, wie ersatzweise eine Elternfigur bieten zu können, eine Verantwortung zu übernehmen.

 

 

Du hast nach der ersten Probewoche gesagt, du könntest jetzt schon loslegen. Wie läuft es zurzeit?

Es ist für mich eine neue Situation, über einen Zeitraum von 6 Wochen etwas Schritt für Schritt aufzubauen. Das ist ja beim Film anders: Man entscheidet sich für einen einzelnen Schauspieler, der das, was man in der Rolle sieht, möglichst schon verkörpert. Das war eigentlich die größte Herausforderung für mich: Wie schaffe ich es, zwei Kinder entstehen zu lassen, ohne dass sie die Stimme verstellen oder sich ein Schleifchen ins Haar binden. Da war der Schlüssel, sich wieder weich und sensibel werden zu lassen. Ich habe probiert, über Gespräche oder Spielchen wieder eine Empfindlichkeit dafür herzustellen, eine Idee von Unschuld oder Unbefangenheit.

 

Hattest du schon vorher Lust auf Theater?

Es gibt ein paar Theaterstücke, wo ich immer schon mal dachte, wow, das kickt mich und ich hab auch schon ein paar Aufführungen gesehen, die mich gekickt haben, aber häufig fehlt mir im Theater, dass die Leute, die das verkörpern, sich persönlich einbringen. Ich möchte aber was von den Menschen erfahren, die da stehen. Ich wollte ein bisschen von dem, was uns im Film selbstverständlich erscheint, dass die Leute in einzelnen Momenten wahrhaftig erscheinen, im Theater reproduzierbar herstellen.

 

Nahaufnahme

Was fällt noch im Vergleich zum Film auf?

Ich bin froh, wie wenig Technik hier im Weg ist. Das liegt auch an dem Stück, das so konzentriert ist, das nur zwei Personen hat und daran, dass wir auf ein realistisches Bühnenbild komplett verzichtet haben. Dadurch ist es eine Arbeit, die ganz eng mit den Schauspielern und ihrem Ausdruck zu tun hat. Das sind beim Film die sehr, sehr schönen, aber seltenen Momente. Meistens muss man sich viel mehr Gedanken machen, wo die Kamera steht und dass die verschiedenen Ablaufe zusammenkommen, dass es dann an dem Tag nicht regnet…

 

Dann kommt noch dazu, dass die Bühnensituation sehr nah dran ist. Hier ist es so, dass man in jedem Moment so nah dran ist, dass man sich die Nahaufnahmen fast sparen kann.

 

 

Was machst du sonst zwischen den Filmen und Stücken?

Ich bereite meinen nächsten Spielfilm vor, in Kooperation mit dem WDR. Da schreibe ich auch das Drehbuch, ein Drehtermin steht noch nicht fest. Es heißt „Auf der Suche" und ist die Geschichte einer 50 Jahre alten Frau und eines jungen Mannes, die gemeinsam in Marseille nach ihrem vermissten Sohn suchen. Wieder eine Geschichte, die beide Figuren aus ihren eigentlichen Zusammenhängen rauslöst und in der Fremde zusammentreffen lässt. Man braucht manchmal diese Ausnahmesituationen, um einen Schritt weiter zu kommen. Das funktioniert in seinem Alltag zuhause eigentlich auch nur durch kleinere Katastrophen.

 

Hast du jetzt eine Ausnahmesituation in Aachen?

Auf eine komische Art und Weise habe ich das Gefühl, ich begegne mir hier als junger Mann, Anfang 20 wieder. Die Erinnerungen sind konserviert, wenn ich hier durch die Straßen laufe oder in der Kneipe sitze, fallen mir Momente von vor 15 Jahren ein, als ich hier meine ersten Studienjahre verbracht hab. Eigentlich komme ich her und die Vergangenheit kommt mir vor wie jemand anderes, zu der muss ich mich auch nicht verhalten. Ist eine lustige Situation, macht mir Spaß.

 

Hattest du Zeit in Aachen ins Kino zu gehen?

Im Capitol hab ich „Alle anderen" gesehen. Ein Film, der auch so verspielt und versponnen ist. Die großen Dramen verläppern sich letztlich. Schön, dass so was funktionieren kann, ohne dass die großen Kapitel der Zeitgeschichte verhandelt werden, ohne dass irgendwelche Häuser in die Luft fliegen, oder dass Kinderschänder zur Strecke gebracht werden. Dass der Alltag, wenn man den richtigen Blick drauf findet und die richtige Spielfreude, die Leute noch berührt. Und wieder motiviert, daran Zeit und Gedanken zu verlieren.

 

Was sind deine Zukunftspläne?

Wenn ich darf, mache ich gerne mit Caroline wieder auch mal was ganz Klassisches. Die Aufgehobenheit in diesem Haus, so konzentriert zusammen zu arbeiten, finde ich sehr angenehm. Film ist dagegen immer wie Pokern, man darf sich nicht in die Karten gucken lassen. Man muss immer gucken, dass man im richtigen Moment die Trümpfe spielt. Es geht um mehr Geld. Die Konkurrenz ist groß, die Entscheidungen sind intransparenter, die große Frage, wird es ein großer Erfolg. Man kann in jeder Runde immer rausfliegen, das ist das Gefühl beim Film. Ich hab mich da zwar bis jetzt gehalten, aber ich weiß nicht, ob ich im nächsten Jahr einen Film machen darf.

 

Jan Krüger, geboren am 23. März 1973 in Aachen, studierte von 1992 bis 1996 an der Rheinisch-Westfälischen TH Aachen die Fächer Elektrotechnik, Physik und Sozialwissenschaften. Dann wechselt er zum Film und erhält 2001 sein Diplom an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Dem Dokumentarfilm "In den Kreis des Lichts" (1998) folgen als eigene Projekte die Kurzfilme "Verführung von Engeln" (2000), "Hochzeitsvorbereitungen" (2000) und "Freunde" (2001).

2004 legte Krüger mit "Unterwegs" seinen ersten langen Spielfilm vor, der besonders im Ausland auf starke Resonanz stößt – wie auch einige von Krügers Kurzfilmen, die hierzulande kaum beachtet werden. So wurde "Freunde" (2001) auf den 58. Filmfestspielen von Venedig mit dem Silbernen Löwen für den Besten Kurzfilm ausgezeichnet.