7.9.09

Antichrist

 

Dänemark 2009 (Antichrist) Regie: Lars von Trier mit Charlotte Gainsbourg, Willem Dafoe 104 Min.

 

Es ist eine der nicht unwesentlichen Kleinigkeiten des genialen und vielschichtigen Films „Antichrist": Ausgerechnet der Regisseur Lars von Trier, dessen Filmen wie „Breaking the Waves", „Dancer in the Dark" oder „Dogville" immer wieder Frauenfeindlichkeit vorgeworfen wird, lässt seine Heldin in „Antichrist" eine historische Untersuchung über Misogynie betreiben.

 

Aber dieser Scherz und dieser Schlüssel zu einem großen Rätsel folgen später. Erst erlebt ein Paar den tragischen Tod ihres kleinen Kindes - ausgerechnet während eines intensiven und hochästhetisch gefilmten Liebesaktes. Die Umschlingungen in Schwarzweiß und Zeitlupe mit einem ergreifenden Händel-Lied sind grandioses Kino - wie auch der Rest des Films. Der Sturz des Kindes aus dem Fenster in sanft aufwirbelnden Schnee - eine grausame Bildpoesie. Da der namenlose Mann (Willem Dafoe), von Beruf Psychiater, die depressive Trauer seiner Frau (Charlotte Gainsbourg) nicht beenden kann, ziehen sie sich zusammen in ihre einsame Hütte, „Eden" genannt, in die Wälder zurück.

 

Dort versucht er ihr beizubringen, mit ihren massiven Ängsten umzugehen. Doch mitten in einem sehr schaurig präsentierten deutschen Wald (gedreht wurde in Nordrhein-Westfalen) ereignen sich immer mehr unerklärliche Dinge und die Natur tritt dem Analytiker mit totgeborenen Tieren entgegen. Er meint, weiter Herr der Lage zu sein, während der Wahnsinn sich in extrem brutalen Verletzungen äußert. Der Überlebenskampf zwischen einem männlichen und weiblichen Prinzip wird sehr körperlich und gleichzeitig mysteriös geschildert.

 

Man sollte sich nicht vom Etikett „Horrorfilm" abschrecken lassen - auch wenn einige Szenen vom Härtesten sind. Der Däne Lars von Trier lehrt, die Angst vor seinem eigenen Film zu überwinden, wirft fast alberne Momente, wie einen dämonisch sprechenden Fuchs ein. Bis auf drei, vier Schockmomente, ist sein Schrecken ein ganz eigener in faszinierenden Bildern und Szenen. Das Schauspiel ist grandios, Charlotte Gainsbourg erhielt in Cannes, wo „Antichrist" am meisten Aufsehen erregte, den Darstellerpreis. Selbstverständlich ist die ganze Geschichte psychologisch sorgfältig unterfüttert. Ein grausamer Hass auf die eigene Sexualität, die tröstet und zerstört, ist eine Triebfeder von Gainsbourgs Figur. Während man sich fragt, wer eigentlich der Antichrist in diesem Film ist (Mann, Frau oder gar Kind?), kämpft sie mit dem Zweifel, ob tatsächlich etwas Böses in ihr schlummert. Das mag in einigen Momenten drastisch umgesetzt sein, ist aber sowohl gedanklich als auch ästhetisch extrem faszinierend. Im vor Energie wabernden Bild kehrt von Trier nach reduzierten Arbeiten wie „Dogville" und „Manderlay" zum Vielschichtigen seiner früheren Werke („Element of Crime", „Epidemic") zurück. Er selbst verweist psychologisch auf Strindberg und im Bild auf den russischen Meisterregisseur Tarkowski. Dass Lars von Trier Ahnung von Ängsten hat, erklärte er in einem offenen Interview vor der Weltpremiere des Film: Über ein Jahr lang wurde er von schweren Depressionen gequält, der Film „Antichrist" sei seine Rettung gewesen.