1.9.09
Taking Woodstock
USA 2009 (Taking Woodstock) Regie: Ang Lee mit Demetri Martin, Imelda Staunton, Henry Goodman, Eugene Levy 120 Min.
Woodstock ist ein scharf vermarkteter Mythos mit Copyright sogar auf dem Namen eines Dorfes. Und Woodstock ist Chaos: Zuerst war es extrem schwer, Karten für das legendäre Open Air-Festival zu bekommen, dann sorgte ein ähnlicher „Lapsus“ wie bei der Öffnung der Mauer dafür, dass die Zäune fielen und alle gratis hinein durften. Statt 500.000 Menschen sollen es mehr als doppelt so viele gewesen sein. Ang Lee zeigt in seinem herzlichen und komischen Film auf der Seite des Chaos eine private Geschichte, ohne die es Woodstock nie gegeben hätte...
Was braucht ein jüdischer Junge aus einem Dorf im Staate New York Ende der Sechziger zum Coming Out? Nur 500.000 Menschen sowie einen Musik- und Drogen-Trip namens Woodstock. Für ein paar Brownies für ein paar nicht legalen Zusatzstoffen mehr versteht er sich denn auch mit seinen verknöcherten Eltern wunderbar problemlos.
Im dem Song „Woodstock“ von Crosby, Stills, Nash & Young (oder nach Geschmack von Joni Mitchell) singen die alten Herren von den Partys, die es damals überall auf der Strecke nach Woodstock gab. Meister-Menschenfilmer Ang Lee zeigt eine dieser Partys, aber aus einer sehr persönlichen Perspektive. Elliot Teichberg (Dimetri Martin) kehrte gerade zum heruntergekommenen Motel seiner alten Eltern zurück, um den Laden vor dem Bankrott zu retten. Dynamisch übernimmt er im Kaff auch den Vorsitz der Handelskammer und verspricht das übliche Sommerfestival mit Platten, die er vorspielen wird. Dass die Genehmigung dazu von einem verrückten Rock-Festival namens Woodstock dringend gebraucht wird, weil es im Nachbarort nicht willkommen war, bildet den Anfang einer lawinenartigen Entwicklung. Kaum macht Elliot den Organisatoren das Angebot, tauchen Helikopter und reihenweise schwarze Limousinen auf. Nicht nur das schrottreife Motel wird rasend schnell von Konzert-Managern und Hippies überrannt, das ganze Dorf steht Kopf.
Das Drehbuch zu „Taking Woodstock“ basiert auf den Erinnerungen von Elliot Tiber. Was daran historisch wahr ist, bleibt Nebensache. Oder Sache des Dokumentarfilms von Michael Wadleigh, der auch gerade erschien. Doch Woodstock ist bei der humorvollen Geschichte von Elliot und Ang Lee nur Nebensache - wenn man 500.000 Menschen, die drei Tage lang feierten wie noch nie, als Nebensache bezeichnen kann. Es sind die anderen Menschen, die sich erst widerwillig und dann voller Lust in den Freudentaumel stürzen, die „Taking Woodstock“ zu einem Quell der Lebensfreude machen. Angefangen bei Elliot, der zwar ahnte, dass ihm das Dorf zu klein ist, aber der aus Fürsorge für die Eltern auf Kalifornien verzichtete. Jetzt wird er mehrfach von Männlein und Weiblein wach geküsst und weiß sofort, was ihm am besten schmeckt. Elliots Vater erlebt einen zweiten Frühling und selbst die ostjüdische Mutter wettert mal nicht über Antisemitismus und die Schlechtigkeit der Welt. Von nudistischen Theatertruppen bis zum transsexuellen Bodyguard (Liev Schreiber in großartiger Drag-Rolle!) präsentieren Ang Lee und sein angestammter Autor James Schamus immer wieder diese Menschen, die man alle in den Arm nehmen möchte und liebhaben. „Taking Woodstock“ ist nicht nur prall von sympathischen Figuren, es ist ein großartiges Erlebnis, wenn auch das ganze Happening immer in reine Geschäftemacherei abzugleiten droht. Doch diese Geschichten wurden woanders erzählt. Ang Lee konzentriert sich ganz auf das Gefühl, das CSN&Y so besangen: „We are stardust, we are golden ...“