5.1.09

Jerichow


BRD 2008 (Jerichow) Regie: Christian Petzold mit Benno Fürmann, Hilmi Sözer, Nina Hoss 92 Min. FSK: ab 12

Die innere Unsicherheit

Thomas (Benno Fürmann) ist aus der Bundeswehr rausgeflogen und richtet sich in dem heruntergekommen, abgelegenen Haus seiner verstorbenen Mutter ein. Der Film protokolliert diese Behausung ebenso wie den stillen Einsiedler. Dass direkt ein paar halbseidene Typen vorbeikommen, um Schulden einzutreiben, und dass Thomas beim Versuch erwischt wird, einen ehemaligen Freund zu betrügen, tariert am Anfang exakt die moralische Meßlatte des Films und seiner Figuren ein. Denn bis auf einen altruistischen Moment betrügt hier jeder, sucht hier jeder seinen eigenen Vorteil.

Wenn Thomas anfangs ohnmächtig geschlagen wird, wenn ein zu roter Zug im Hintergrund vorbei fährt und ein Reh irritiert um die Ecke schaut, könnte alles wie in Petzolds letztem Film "Yella" wieder ein Traum sein. Doch damit legt der raffinierte und hochintellektuelle Regisseur nur eine Finte. „Jerichow“ ist als dramatisches Dreiecks-Drama, als Variante von Viscontis "Ossessione - Von Liebe besessen" und „Wenn der Postmann zweimal klingelt“ nach James M. Cains Krimi „The Postman Always Rings Twice“ ein anderer Petzold und doch wieder ein exzellenter Petzold.

Weil Thomas dem türkischen Imbissbuden-Besitzer Ali (Hilmi Sözer) mit einer Falschaussage vor Polizei und Führerscheinverlust rettete, bietet dieser ihm einen Job als Transport-Fahrer an. Der schweigsame Ex-Soldat hilft fortan, Alis 45 Läden am Laufen zu halten und deckt clever kleine Betrügereien der Angestellten auf. Die beiden Männer könnten Freunde werden, doch da ist noch eine Frau. Der erste Blick von Thomas auf Laura (Nina Hoss) fällt auch ihrem eifersüchtigen Ehemann Ali auf. Trotzdem fordert der die beiden zu einem engen Tanz auf - ein Spiel mit dem Feuer am Meer, das dramatische Folgen hat. Die beiden jungen Menschen verfallen einander in heftiger Leidenschaft. Doch Laura gehört Ali - ganz brutal und nicht im übertragenen Sinne. Sie hatte 140.000 Euro Schulden und Ali kaufte sie auf.

Die Frage in „Jerichow“ lautet nicht nur "Geld oder Liebe?" Sie lautet vor allem "Wer ist noch ehrlich?" Wie immer bei Petzold fasziniert die genaue Beobachtung - des Films und der Figuren, des sozialen Umfeldes im Osten Deutschlands. Manche bezeichnen das als kalt. Doch während Thomas und Laura eine heiße erotische Spannung in das Dreieck bringen, er bald seine Bisswunden verstecken muss, ist vor allem die Ökonomie der Gefühle kalt und berechnend. Petzolds filmische Analyse der Liebe als Handelware macht nicht fröhlich, doch sie packt von Anfang an.

Nina Hoss spielt die verzweifelt berechnende Betrügerin Laura völlig glaubhaft und erstaunt erneut nach ihrer Wende-Verliererin „Yella“, nach der Nachkriegs-Überlebenden „Anonyma“, nach der modernen Medea von „Die Liebe ist ein dunkler Wald“ mit einer weiteren Facette ihres atemberaubend exakten Schauspiels. Diese Laura ist verlebt, getrieben von ihren Gefühlen und Instinkten, wobei die Orientierung auf einen Versorger auch schon ein internalisiert und Instinkt ist. Dass auch Benno Fürmann exakt und gut spielen kann, ist vielleicht die größte Überraschung dieses zwischen Leidenschaft und kalter Berechnung ungemein spannenden Films.