20.1.09

Der fremde Sohn


USA 2008 (The Changeling) Regie: Clint Eastwood mit Angelina Jolie, John Malkovich, Jeffrey Donovan 142 Min. FSK: ab 12

Manche Geschichten sind so unglaublich, dass der Film sich mit dem Hinweis auf wirkliche Ereignisse absichern muss. Oder wie bei diesem Drama um Kindesentführungen eines grundsolide Inszenierung und anständiges Schauspiel. „Der fremde Sohn“ ist nicht der beste Eastwood der letzten Jahre und Angelina Jolie hat ihre Mutterrolle auch meist besser gespielt, doch die anständig erzählte Geschichte kann über zwei Stunden unterhalten und immer wieder erschüttern.

Wenige Momente reichen, um die Zeit, die Umstände und ein besonders gutes Verständnis der allein erziehenden Mutter Christine Collins (Angelina Jolie) zu ihrem neunjährigen Sohn Walter zu skizzieren. Im Los Angeles des Jahres 1928 sieht die Telefonzentrale mit den flotten Ladies auf Rollschuhen vielleicht kurios aus, diese emanzipierte Frau wirkt jedoch ebenso modern wie die Mode der Zeit. Eine starke Figur stellt Eastwood auf für das Unglaubliche, was folgen wird.

Als Christine von ihrer Arbeit zurückkehrt, ist Walter verschwunden. Die Polizei ist ratlos, präsentiert jedoch Monate später unverfroren einen anderen Jungen als Walter, nur um gute Presse für sich zu erhalten. Das ungläubige Staunen und die schreiende Verzweiflung der Mutter bringen sie in die von der korrupten Polizei kontrollierte Psychiatrie. Erst das Engagement eines politischen Priesters (klasse: John Malkovich) und die Entdeckung eines Serienmörders bringen die Taten der Polizei ans Licht. Doch Walter bleibt verschwunden...

Clint Eastwood gelingt es, ein Melodram, einen Korruptions-Thriller und eine schauerliche Massenmörder-Geschichte wie aus einem Guss in seine atmosphärische Story zu packen. Dass dabei Angelina Jolie ihre typische Rolle als Löwen-Mutter recht steif runterspielt, stört nur am Rande. „Der fremde Sohn“ wird sicher nicht das Lieblingskind unter Eastwoods Filmen werden, aber der Wechselbalg ist immer noch weit besser als was die jüngeren Kollegen des 78-Jährigen abliefern.

Vom Cowboy zum Meisterregisseur
Wenn es in „Der fremde Sohn“ um Wahrhaftigkeit geht, die einen schweren Stand gegen den eitlen Schein hat, dann könnte dies ein Markenzeichen von Clint Eastwoods sein. Dieser überaus erfolgreiche Schauspieler hatte von der Politik als Bürgermeister eines Küstenörtchen schnell genug und wurde halt nicht Gouverneur von Kalifornien. Sein Ruhm hätte dazu ausgereicht, das Image erst als Revolverheld in der TV-Serie „Rawhide“ und in den Italo-Western von Sergio Leone ebenso. Die Selbstjustiz seines „Dirty Harry“, des Polizeiinspektors Harry Callahan in San Francisco, brüskierte liberale Kritiker, doch vor allem immer mehr die Themen und die stille Wahrhaftigkeit seiner mittlerweile 29. Regiearbeiten machen Clint Eastwood zu einer allseits geschätzten Persönlichkeit. Respektvoll lauscht das ganze Team, wenn er mit sonorer Stimme leise „Action“ sagt. Dabei ist Action immer weniger gefragt, die Leidenschaft für guten Jazz des Komponisten und Pianospielers Eastwood taucht in der Charlie Parker-Biografie „Bird“ (1988) und in fast jedem seiner edlen Soundtracks auf. Mit den leichtfertigen Duellen räumte der humanistische Spätwestern „Erbarmungslos“ (1992) auf. Und dass einmal „Frauenfilme“ wie „Brücken am Fluss“ (1995) oder „Million Dollar Baby“ (2004) seine Filmographie pflastern, hätte sich der frühe namenlosen Cowboy niemals sagen lassen.