28.1.09
Die Klasse
Frankreich 2008 (Entre les murs) Regie: Laurent Cantet mit François Bégaudeau 130 Min. FSK: o.A.
Waren Schulstunden nicht oft quälend langweilig? Weshalb sollten wir nun freiwillig dem Französischlehrer Francois (und der Kamera) in „Die Klasse“ folgen? Weil Regisseur Laurent Cantet das Kunststück schaffte, mitten im heftigen Leben der französischen Banlieu-Kampfzonen einen unglaublich ehrlichen, echten und auch spannenden Spielfilm mit Laiendarstellern zu drehen. Die Goldene Palme von Cannes aber vor allem viele begeisterte Zuschauer seit dem Kinostart in Deutschland belegen die außerordentliche Leistung des Films.
Am Anfang füllt ein ganz nahes Gesicht die Leinwand: Dies ist François (François Bégaudeau), dies ist seine Geschichte. Dann in den Klassenräumen, Gängen und Lehrerzimmern der Schule, die der Film nie verlassen wird, die Putzmänner und -frauen, ein Hausmeister. Hier schaut jemand sehr genau auf den Betrieb Schule, noch vor der Lehrervorstellung. François ist im vierten Jahr an dieser Schule und erzählt den neuen Kollegen, man brauche Mut hier. Bald rastet auch schon ein Lehrer aus, findet kein Ende im Lamento über die hoffnungslosen Schüler, die doch in ihrer sozialen Sackgasse stecken bleiben sollen.
François ist anders, er diskutiert mit den Schülern, hört zu, wenn sie anmerken, solche komplizierten Zeitformen seien doch höchstens von ihren Großeltern gebraucht worden. Nicht nur mit der raffinierten Esmeralda, die frech durch die Zahnspange grinst und lispelt, liefert er sich große und kleine Duelle. Alle provoziert er zu Beteiligung am Unterricht. Doch unmerklich wird
der idealistische Lehrer ungerecht, lässt sich zu schnell provozieren. Sein liberales, fast kumpelhaftes Gerede hält nicht stand. Als er den größten Querulanten rauswirft, bleibt der Blick auf den Dozenten noch ambivalent. Doch als er die Putzfrau arrogant missachtet, ist er durchgefallen.
Was sich ungemein spannend abspielt, das Drama des Scheiterns, die Hoffnungen für die bockigen, nervigen und doch nur menschlichen Schüler, ist das biographische Drama von François Bégaudeau, der einst Lehrer war, dann den autobiografischen Roman „Entre les murs“ über diese Zeit schrieb und sich nun selbst spielt. Zwischendurch schrieb er auch Filmkritiken für den „Playboy“.
Man sollte sich von den Etiketten nicht täuschen lassen: Sicher, „Die Klasse“ ist authentisch, bewegt sich durch die Teilnahme der Schüler, die sich teilweise selbst spielen, im Bereich zwischen Dokumentation und Fiktion. Klar, die frechen Schnauzen der Schüler, der Mix vieler Nationalitäten und Ethnien liefern einen sozial spannenden Einblick. Aber „Die Klasse“ ist auch ein klasse Film, zeugt in der Präzision der nur scheinbar zufälligen Bilder von großer Meisterschaft der Macher. Es kommt nicht von ungefähr, dass man all die jungen Schüler mit Herkünften aus aller Welt ebenso echt und lebendig erinnert wie die eigenen Klassengenossen.