8.8.21

Nahschuss


BRD 2020 Regie: Franziska Stünkel, mit Lars Eidinger, Devid Striesow, Luise Heyer, 116 Min. FSK ab 12

Der Theater- und Filmstar Lars Eidinger verkörpert im ergreifenden Historienfilm „Nahschuss" einen DDR-Spion, der nach Gewissensbissen angeklagt und erschossen wurde. Die letzte Hinrichtung der DDR.

Kurz vor dem Abheben aus dem Flieger geholt. Um das Gepäck brauche er sich nicht zu kümmern, meinen die geheimnisvollen und sehr ernsten Herren. Das Jahr im Ausland endet für den DDR-Wissenschaftler Franz Walter (Lars Eidinger) bevor es los geht. Doch der Schrecken weicht einer Überraschung: Walter bekäme die begehrte Professur früher als erwartet. Ob er dafür einige Zeit in der Hauptverwaltung Aufklärung helfen könne? Also den eigenen Landsleuten hinterher spionieren. Aus lauter Freude über die Beförderung macht Walter naiv mit. Es gibt gleich eine für DDR-Verhältnisse schicke Wohnung und einen Auftrag in der Fußball-Szene, die dem Hobby-Spieler sehr vertraut ist.

Ein abtrünniger Fußballer soll mit brutalen Mitteln aus Hamburg zurückgeholt werden: Sein Freund wird verführt und mit Fotos der Untreue zur Mitarbeit gezwungen. Die in der DDR zurückgebliebene Frau des Fußballers bekommt eine falsche Krebsdiagnose und unterzieht sich grundlos einer Chemotherapie. Die „HVA" erpresst auch die eigenen Mitarbeiter mit dringenden Operationen für Familienmitglieder, die gewährt oder auf unbestimmt verschoben werden. Franz kriegt man mit der Augenoperation für seine Mutter.

Spätestens als die Verführerin im Staatsdienst schwanger ist und Walter sie zur Abtreibung überreden soll, ist es ihm zu viel. Schon vorher verhärtete er angesichts der Methoden in der Hauptverwaltung Aufklärung, wobei er für die Karriere selbst nicht zimperlich handelte. Da er nur verheiratet in den Westen kam, überredete er die Freundin Corina (Luise Heyer) zu einer lieblosen Zeremonie, bei der hauptsächlich Kollegen und Kolleginnen vom Geheimdienst anwesend sind. Federführend immer der joviale Vorgesetzte Dirk Hartmann (Devid Striesow), der ihm auch kleine Tricks wie Quittungsbetrug beibringt. So ist Walters Professorin bald überrascht, „dass er sich bei denen so schnell eingelebt hat".

Dem exzentrischen Lars Eidinger („25 km/h", „Schwesterlein") gelingt auch die blasse Figur des Karrieristen Walter exzellent. Eigentlich ein guter Kerl, einfühlsam und ehrlich in seiner Liebe zu Corina, hält er es im zynischen Geheimdienst-Betrieb nicht lange aus. Das Zerbrechen an der eigenen Tatbeteiligung ist ein langsames Entgleiten des Lachens, Kontrollverlust über Mimik und Haltung. Dass viel zu spät ein Ausstiegs-Plan folgt, der ausgerechnet unmöglich gemacht wird, weil jemand schneller abhaut, ist nicht nur tragisch, sondern eigenes Verschulden. Wie die DDR-Justiz dann an dem kleinen, kläglichen Mitarbeiter der HVA mit dem „Nahschuss" ein Exempel statuiert, ist Schreckensherrschaft pur.

Für Devid Striesow („Ich bin dann mal weg") ist der Part des Ost-Biedermanns Dirk Hartmann wieder eine Paraderolle: Scheinbar langweilig und überkorrekt nutzt er jede Gelegenheit für kleine persönliche Vorteile und Betrug.

Die Filmemacherin und Fotokünstlerin Franziska Stünkel („Vineta") nimmt die letzte Hinrichtung in der DDR, die im Jahr 1981 ausgeführt wurde, zum Anlass für ihre ergreifende Geschichte. Wie der gutgläubige Walter begeistert bei den Geheimdienstlern mitmacht, wird zügig erzählt. Sein Abgang, Gefängnishaft und die Verhandlung wirken bleiern. Da bleibt der Figur kein Entwicklungsraum mehr. Walter ist noch im Knast naiv, wenn er nachts bittet, das Licht in der Zelle zu löschen. Dabei ist dies doch Teil der Folter.

Es bleibt schockierend, dass der Geheimdienst wirklich alles wusste und scheinbar standardmäßig auch direkt die Ehefrauen der Schnüffler einstellte. Wenn man allerdings Filme über die Ost-Spionage am eigenen Volke vergleicht, ist das Weiter-Leben der Anderen eindeutig die dramatischere Strafe.