BRD 2019 Regie: Jan-Ole Gerster, mit Corinna Harfouch, Tom Schilling, André Jung, Volkmar Kleinert, Rainer Bock 98 Min. FSK ab 0
Nach „Oh Boy" nun „Oh Mama": „Lara" ist Jan-Ole Gersters erste Regiearbeit nach seinem sensationellen Debüt „Oh Boy" vor sieben Jahren. Die großartige Corinna Harfouch porträtiert eine frustrierte ehemalige Klavierspielerin am Tag des großen Konzerts ihres Sohnes.
Wieder ein Tag in Berlin, diesmal sehr melancholisch, ganz Herbst-Stimmung. Es ist ein Tag voller Aktivitäten, quasi im Vorübergehen wird die Frau namens Lara (Corinna Harfouch) charakterisiert. Gedeckte Farben im Kleiderschrank und im Film, auch die Musik in diesem Ton. Auf grauer Wand hängen ein paar gerahmte Bleistift-Skizzen. An ihrem Geburtstag muss Lara erst Zeugin einer respektlosen und brutalen Wohnungsdurchsuchung beim Nachbarn sein. Der Hinweis auf die exakt heute erreichten 60 Jahre ist dabei das grobe I-Tüpfelchen.
Danach wird das gesamte Vermögen von der Bank abgehoben. Ihr Sohn Viktor (Tom Schilling aus „Oh Boy") gibt ein Klavierkonzert und Lara kauft alle noch vorhandenen Karten auf, um sie wahllos zu verteilen. Sie besucht ihre alte Arbeitsstätte, wo die Nachfolgerin nun Respekt vermisst. „Hat es Sie nie gestört, dass man Sie nicht ausstehen konnte?" Dann schnappt sich Lara in einer besonders trefflichen Szene einen zufällig herum sitzenden Schüler des Sohns, um mit alter Biestigkeit dessen Pianoübungen runter zu machen. „Vielleicht doch besser Trompete?"
Da wird klar, dass auch Viktor durch diese, ihre Hölle gehen musste. Niemand kann vor ihr bestehen. Man wartet mit einer Mischung aus Angst und Freude darauf, wie sie noch die sowieso schon besorgte Freundin des Sohnes fertig machen wird. Die Freundin des Sohnes, die Lara nur von einem Foto kennt. Doch die junge Frau pariert die fiesen Suggestionen: „Sie sollten an ihren Sohn glauben!" Als Antwort zerbricht Lara den Bogen ihrer vergessenen Violine.
Aber im Verlauf des Films wird klar, dass Lara nicht nur gnadenlos harte Lehrerin ist, sondern auch eine durch gleichartige Härte deformierte Schülerin. Desinteressiert an ihren Mitmenschen erledigt sie diesen Tag. Findet Viktor, der sich vor ihr versteckt und macht auch seine neue Komposition, die heute uraufgeführt werden soll, fertig.
Auch ohne übliches Drama ist es fesselnd, wie sich aus diesen Facetten die Figur Lara zusammensetzt. Geschickt legt Regisseur Jan-Ole Gerster die verschiedenen Rollen von Lara als Frau, Mutter, Tochter, Lehrerin und Schülerin in den Stationen des Films an. Bis zur finalen Abrechnung mit Laras eigenem Klavierlehrer, der mit gleicher Härte ein ganzes, auf die Kunst fixiertes Leben wertlos machte.
Trotz der überdeutlichen Herbststimmung sind die Bilder in den exakten Szenen von Kameramann Frank Griebe („25 km/h", „Babylon Berlin", „Das Parfüm") ein Augenschmaus. Man will man keinen Moment, keine Mimik, keine Regung von „Lara" verpassen. Man muss bei „Lara" öfters an Hanekes eisige „Klavierspielerin" denken. Einen Vergleich mit Isabel Huppert sollte man nicht beginnen. Vor allen Dingen nicht, weil Hanecke seinen Film und seine Figur kälter angelegt hat. Die in Drama und Komödie immer wieder sehr eindrucksvolle Darstellerin Corinna Harfouch („Der Fall Bruckner", „Was bleibt", „Der Untergang") schafft ihr eigenes Porträt einer Frau, die sich beim zu frühen Karriere-Ende selbst abhanden kam und seitdem die Mitwelt mit der eigenen Unzufriedenheit quält.