BRD, Norwegen 2012 Regie: Matthias Glasner mit Jürgen Vogel, Birgit Minichmayr, Henry Stange, Ane Dahl Torp, Maria Bock 131 Min.
„Gnade" von Regisseur Matthias Glasner („Der freie Wille", „This is Love") spielt das spezielle deutsche Thema „Schuld" mit einem deutschen Ehepaar (Jürgen Vogel, Birgit Minichmayr) durch, das an den Polarkreis zieht, auch um die nicht mehr gute Ehe zu retten. Als Maria bei einem nächtlichen Unglück ein Mädchen anfährt, stellt die Frage, ob das sich das Paar als unschuldig Schuldige bei den Eltern melden soll, die Beziehung auf eine Bewährungsprobe.
Niels (Jürgen Vogel), Maria (Birgit Minichmayr) und ihr Sohn Markus (Henry Stange) zogen aus Deutschland an den Rand des Eismeers nach Norwegen. Er hat einen Job bei der Raffinerie, sie als Krankenschwester. In der Ehe lief es nicht so gut, Zeit für einen Neuanfang. Niels geht aber direkt mit einer Kollegin ins Bett, die Überstunden der zu gutherzigen Maria bremsen das Familienleben aus. Als sie in der langen Dunkelheit des Polar-Winters nach Hause fährt, überfährt sie abgelenkt - „da, wo man das Meer das erste Mal sieht" - ein Mädchen und lässt es in einer Schneewehe sterben. Unwissentlich, denn Maria hörte nur einen Knall und die Verletzte kroch mit letzter Kraft in den Graben. Auch Niels, der später noch mal zur Stelle des Aufpralls - eines Tieres? - fährt, findet nichts. Erst über die Zeitung erfahren beide vom Tod des Mädchens und müssen eine Entscheidung treffen...
Zuerst scheint die Beziehung von Niels und Maria an der Schuld zu zerbrechen, dann bringt diese auf überraschende und doch nachvollziehbare Weise alle zusammen. Niels gesteht Maria das Fremdgehen, sie nimmt es schockierend gelassen: „Ich liebe dich." „Gnade" zeigt den erschütterten Alltag mit seltsamen Kleinigkeiten: Marie beharrt etwa auf den ganz korrekten Preis für ein paar Ballen Tierfutter - bei dem Mann, dessen Tochter sie überfahren hat!
„Die Minichmayr", eine der besten Schauspielerinnen auf Bühne und Leinwand, ist wieder wie erwartet herausragend, wenn auch nicht ganz so gut wie in Ades „Alle anderen". Jürgen Vogel spielt einen stillen Mann, der noch stiller wird, weil er nicht richtig norwegisch gelernt hat. Niels macht deshalb viel mit dem Körper, sucht Sex. Marie (und Birgit Minichmayr) spricht hingegen fließend mit Kollegen und Nachbarn - vielleicht erleichtert es Niels nach dem Umfall auch, dass seine Frau nun nicht mehr so perfekt ist. Zentral in diesem Sinne Marias Aufschrei: „Ich bin das nicht, ich bin ein guter Mensch!"
Parallel dazu hat Sohn Markus ein Schul(d)problem, hat einem gemobbten Mitschüler in die Tasche gespukt, um dazuzugehören. Auch er muss mit seiner Schuld umgehen, ringt sich zu einer Ent-Schuldigung durch, die eine interessante Antwort bekommt. Sein iPhone übernimmt irgendwann die Rolle einer subjektiven Filmkamera, der Junior wird zum Autor und bringt dem Film eine weitere Ebene. „Gnade" transportiert viele Themen, viele spannende Aspekte von Schuld, Vergebung und - selbstverständlich - Gnade. Das vermittelt manchmal das Gefühl, er verzettelt sich. Das verhindert jedoch die klare Struktur mit zwei Grillfeiern im Garten an Knotenpunkten der Geschichte, mit dem erleichtert aufgenommenen Ende der Dunkelheit, mit einer starken Bildsprache wie dem riesigen Fels in der Brandung, von dem man nur die Spitze sieht. „Gnade", auf der Basis eines Drehbuchs vom skandinavischen Autoren Kim Fupz Aakesonist, mit Georg Maas' „Zwei Leben" gleich die zweite bemerkenswerte deutsch-norwegische Produktion, welche in diesen Wochen von sich reden macht. Und wie die Stasi-/Lebensborn-Geschichte ist auch der neue Glasner wieder ein Garant für intensive Diskussionen im und nach dem Film.