Großbritannien/Frankreich/Belgien/Italien, 2012 (The Angels' Share) Regie: Ken Loach mit Paul Brannigan, Siobhan Reilly, John Henshaw, Gary Maitland 101 Min. FSK ab 12
Nein, die Wahrheit lässt sich auch mit viel Weingeist nicht verbiegen: Es wäre eine schöne Metapher, dass Ken Loach wie guter Whisky mit den Jahren immer besser wird. Zwar hat der 77-jährige Brite mittlerweile fast fünfzig Filme gedreht, doch sie waren schon immer gut. Allerdings selten so durchgehend komisch und hoffnungsvoll wie „Angels' Share". Dafür gab es in Cannes 2012 zwar „nur" den Preis der Jury, nicht die Goldene Palme wie 2006 für sein düsteres Nordirland-Drama „The Wind That Shakes the Barley". Loachs kräftiger Schluck aus der Komödien-Pulle könnte jedoch so zu einem seiner erfolgreichsten Filme werden.
Der Cannes-Sieger und alte britische Sozialist Ken Loach filmt dort, wo andere nicht mal flüchtig hinschauen wollen. Seine Helden sind die Arbeitslosen, Säufer, Schläger und kleinen Kriminellen. Sie haben oft als Jugendliche schon keine Chance mehr. Wie Robbie (Paul Brannigan) aus Glasgow, der sich in der Vergangenheit als brutaler Schläger gezeigt hat und jetzt nur nicht in den Knast muss, weil er bei der Gerichtsverhandlung schon zehn Monate brav mit seiner Freundin zusammen war und beide ein Kind erwarten. Den Arbeitsdienst erledigt Robbie beim gutherzigen Streetworker Harry (John Henshaw), der ihn mit der Whisky-Feinschmeckerei in Kontakt bringt. Wie nun Robbie mit seiner lustigen Truppe von jungen Straf-Arbeitern, unter anderem ein Volltrottel und eine Kleptomanin, nicht nur tief ins Glas schaut, sondern auch raffiniert seinen Anteil bei einer exorbitanten Versteigerung abzweigt, ist leichte Unterhaltung vor sozialem Hintergrund. Wer jetzt an Loachs Alkoholiker-Film „Mein Name ist Joe" denkt, ist Spielverderber.
Robbie kommt nicht nur auf den Geschmack, seine Rezeptoren schlagen sogar die edler Schnapsnasen, die schon lange im lukrativen Geschäft sind. Außerdem erweist er sich als viel raffinierter, als ein exklusives Fass Whisky für Millionen versteigert werden soll. Robbie und seine Kumpels bemühen den „Anteil der Engel" - „The Angels' Share" sind die paar Prozente Alkohol, der im Reifeprozess verdampft. Man kann ihn aber auch abzweigen und damit ein neues Leben beginnen. Unsere vier Helden von ganz unten wird auch hierbei nicht geschenkt und es geht manches teure Glas zu Bruch. Gleichzeitig muss sich Robbie einer britischen Art von Blutrache erwehren, denn die Familie eines seiner Opfer stellt ihm brutal nach.
Ken Loach wird beim Altern nicht unbedingt immer besser - aber hoffnungsvoller ist sein Neuer auf jeden Fall. Auch was Gutes. Erneut arbeitete er mit seinem Drehbuch-Autor Paul Laverty zusammen. Das bürgt für glaubwürdige und lebensechte Charaktere. Wenn so ein paar echt schwierige Typen aus der Unterschicht auf den Geschmack von sehr exklusivem Whisky und einer anständigen Ausbildung kommen, ist das in jeder Hinsicht ein positiver Spaß. Ganz in der Tradition britischer Sozial-Komödien und aufrichtig im Geiste des linken Kämpfers Ken Loach.