30.10.12

Sag, dass du mich liebst

Frankreich 2012 (Parlez-moi de vous) Regie: Pierre Pinaud mit Karin Viard, Nicolas Duvauchelle, Nadia Barentin 90 Min. FSK ab 6

Die verständnisvolle Radiostimme macht, wenn schon nicht ein kleines, feines Subgenre, dann doch eine besonders reizvolle Figur im Repertoire der Filmdramaturgie aus: Das scheue Wesen, das sich im Studio versteckt und Menschen nur über die Stimme doch bei ihren intimsten Themen und in privatesten Räumen erreicht. So erlebte man Geneviève Bujold als Dr. Love in Alan Rudolphs „Choose me", Katja Riemann viel schwächer in Kaufmanns „Stadtgespräch" oder Eric Bogosian als politischer Provokateur in Oliver Stones „Talk Radio" nur scheinbar mit dicker Haut. In „Sag, dass du mich liebst" ist Mélina (Karin Viard) der populäre, anonyme Radio-Star. Deshalb haut es sich auch regelrecht vom Stuhl, als Radio-Rolle und das Privatleben zusammenkommen. Als ihre neue Freundin Ingrid von der älteren Frau erzählt, in die sich ihr Sohn Lucas verliebt habe. Es handelt sich exakt um Mélina.

Doch bis hierhin hat Mélina, die eigentlich Claire Martin heißt, schon einiges überwinden müssen. Verständnisvoll, einfühlsam beantwortet sie auf dem Sender die Hörerfragen, berät als öffentliche Seelsorgerin. Bevor sie sich privat in ihr Schneckenhaus zurückzieht. Dort spricht sie nur mit ihrem albernen Hund. Nachdem man weiß, dass Claire seit langem ihre Mutter sucht, versteht man auch, wie einige der Radio-Ratschläge für sie selbst gedacht sind. Claire macht sich Mut, der Frau näher zu kommen, die sie einst als Baby in einem Waisenhaus abgegeben hat. Diese Joelle Goulain (Nadia Barentin) hilft bei einer Einrichtung aus, die gebrauchte Kleidung für Bedürftige sammelt. Claire, wegen ihrer Angst vor Keimen, Fremdem und Dreck immer in schwarzer Kleidung gepanzert, mit Lederhandschuhen geschützt, bietet nun ihre Hilfe an, obwohl sie allergisch auf Staub und Stoffe reagiert. Sie ist in ihrem aufgeräumten, klinischen Leben fast albern. Doch mit der komischen Tragik ihrer extremen Einsamkeit rührt die Figur an, ohne auf die Tränendrüse zu drücken.

Die ratlose Ratgeberin Claire mit ihrer Angst vor Menschen, zu sensibel für sich selbst, ist eine wunderbare, wieder leicht schrullige Rolle für Karin Viard. Unterstützt wird die Französin von tollen Nebendarstellern, vor allem von Nicolas Duvauchelle als forscher, gradliniger Gegenpart und als Joelle in ihrer letzten Rolle die beliebte Nadia Barentin. Auch Kamera (Guillaume Deffontaines) und Musik (Maïdi Roth) sind vom Besten. Ein Film, liebenswert und herzerwärmend wie seine Figuren.

Niko 2 - Kleines Rentier, großer Held

Finnland, BRD, Dänemark, Irland 2012 (Niko 2 - Lentäjäveljekset) Regie: Kari Juusonen, Jørgen Lerdam 77 Min.

Im zweiten Zeichentrickfilm über das wahre Patchwork-Leben der Rentiere bekommt Niko es mit neuem Stiefvater- und Bruder zu tun. Dabei hat der Kleine selbst genug Probleme, erreichte er doch bei den Schlittenübungen der fliegenden Truppe die Weihnachtsgeschwindigkeit nicht. Ihm fehlt irgendwie ein frohes Herz. Ausgerechnet jetzt präsentiert ihm seine Mutter Oona das Rentier Lenny als den Neuen, der zu allem Überfluss noch einen „kleinen Bruder" namens Jonni mit in die neue Beziehung bringt. Nicos Eifersucht wird erst gebremst, als ein paar Adler Jonni im Auftrag der Wölfin entführen. Nun macht er sich auf zum Adlerhost, in nur teilweise hilfreicher Begleitung des halbblinden, alten Einzelgängers Tobias. Als das ungewöhnliche Duo Jonni findet, ist das Abenteuer längst noch nicht zu Ende. Die beiden Väter beteiligen sich an der Rettung. Ihr wahrer Charakter zeigt sich ebenso wie der von Niko, der schließlich doch auf Weihnachtsgeschwindigkeit kommt. Die volle, eskapistische Märchen-Geschwindigkeit erreicht „Niko 2" nie. Aus Prinzip packt er, wie schon im ersten Teil, moderne Familienkonstellationen in das Festtags-Paket. Auch wenn der Erfolg des ersten Teils wiedererkennbar fortgesetzt werden soll, macht die Entwicklung Nikos die Fortsetzung doch zu einer Geschichte, an der kleine Kinogänger Freude haben.

29.10.12

Vielleicht lieber morgen

USA 2012 (The Perks of Being a Wallflower) Regie: Stephen Chbosky mit Logan Lerman, Emma Watson, Ezra Miller, Mae Whitman, Joan Cusack, Paul Rudd 103 Min. FSK ab 12

Der neue Film mit Emma Watson, die mal was mit „Harry Potter" hatte, ist ein selten guter High School-Film: Zwar fällt Charlie (Logan Lerman) auch aus den üblichen Rang- und Hack-Klassen, doch mit einer schönen Gelassenheit kümmern sich er und seine neuen, älteren Freunde gar nicht um solche Albernheiten. Sam (Emma Watson) und ihr schwuler Stiefbruder Patrick (Ezra Miller) sind wunderbare Bohemiens in einer Zeit als man noch Musik-Kassetten als Liebesbeweis zusammenstellte.

Stephen Chboskys 1999 veröffentlichter Brief-Roman „The Perks of Being a Wallflower", den er selbst verfilmt, spielt im Jahre 1991. „Heroes" von David Bowie gab es zwar schon seit 1977, doch Shazam und das dazugehörige Smartphone ließen noch auf sich warten. So bleibt das starke Lied, das unser Trio abheben lässt und während dem sich Charlie endgültig in Sam verliebt, eine Weile unbekannt. Auch wenn die nächtlichen Autofahrten, die Partys und die Hash-Cookies auch in dieser Jugendgeschichte nicht fehlen, liegt - nicht nur wegen der Begeisterung für Songs von The Smith - ein dunkler Druck auf ihr. Charlie wird in den Freundeskreis aufgenommen, weil sich sein bester Freund erschossen hat. Außerdem war er bereits in psychiatrischer Behandlung, alle fragen immer besorgt, ob er wieder „diese Dinge" sieht. Er sich selbst auch, in den Briefen an den toten Freund. Patrick, eine spitzzüngige, aus der Zeit gefallene Oscar Wilde-Wiedergeburt, hat eine Affäre mit dem Football-Star der Schule, was bei einem reaktionären Vater nicht gut gehen kann.

Die Vergangenheit der ebenso freundlichen wie nachdenklichen Sam war keine einfache und noch immer hat sie die falschen Freunde. Wenigstens schlägt der aktuelle sie nicht, wie es der von Charlies Schwester Candice unwidersprochen macht. „Wieso suchen sich die liebenswerten Leute immer die Flaschen aus?", fragt man sich denn auch mehrfach im Film und beantwortet es gleich: „Wir akzeptieren, was wir zu verdienen glauben..."

So entwickelt das intelligente Mauerblümchen Charlie eine erstaunliche Reife, die ihm aber erst einmal nicht dabei hilft, an sein Trauma heranzukommen. Der Druck wird zum Rückfall, dieser zu einem vorsichtigen Neuanfang in größerer Offenheit. Happy End kann man es kaum nennen, „ Vielleicht lieber morgen" endet zu ehrlich und schön. Mit dem mittlerweile entdeckten „Heroes" für die wahren Helden der Jugend. Man könnte noch „Teen Age Riot" von Sonic Youth und auch Nick Drake für die Stimmung dieser glaubwürdigen und anrührenden Lebensepoche hinzufügen. Aber längst stimmt hier schon alles, das Schauspiel der bekannten und weniger bekannten Jung-Darsteller, das Buch, die zurückhaltende Regie. Man muss diese Lebensphase nicht geliebt haben, aber so kann man sie verstehend wiedererleben.

Lore

BRD, Australien, GB 2012 Regie: Cate Shortland mit Saskia Rosendahl, Nele Trebs, André Frid, Mika Seidel, Kai Malina, Nick Holaschke 109 Min. FSK ab 16

Noch spielt das Kind nur Himmel und Hölle, dabei ist die üppige Villa der deutlich deutschen Familie ein letzter Hort inmitten vom Kriegschaos. Dass Papa kaum zu Hause ist, weil er das Morden in einem KZ leitet, hat die Ehe erschüttert. Selbst bei dieser Mutter, einer strammen Nazi-Braut und dem Arier-Wahn anhängig. Jetzt rücken die amerikanischen Truppen an, man zieht sich mit zusammengerafftem Schmuck und Silber in eine Berghütte zurück. Doch als Papa endgültig wegbleibt, überlässt die Mutter in einer ungeheuerlichen Szene die vier weiteren Kinder, unter ihnen ein Baby, der ältesten Tochter Hannelore (Saskia Rosendahl). Ob sie nur abhaut, oder sich wirklich den Amerikanern stellt, bleibt offen.

Weil auch die benachbarten Bauern der Nazi-Brut nichts zu essen geben, macht sich die , 15-jährige Hannelore mit den Geschwistern auf eine Odyssee quer durch Deutschland, zur Oma an der Küste. Es ist eine durch starke Naturbilder und -Details fast märchenhafte Reise durch Wälder. Die Reste der Zivilisation sind Ruinen, in denen andere zerlumpte Flüchtlinge hausen. Leichen am Wegesrand, Hunger und die dauernde Angst vor Vergewaltigung treiben die Schar an. Thomas (Kai Malina), ein junger, schweigender Mann rettet die Kinder und nähert sich vor allem Hannelore. Doch als sie seine jüdischen Papiere sieht, will sie nicht mit dem Retter vom gleichen Tischtuch essen. Obwohl er das Essen besorgt hat! Das naive Mädchen im Rassenwahn ist völlig verwirrt, als sie den Vater auf Wandzeitungen als Kriegsverbrecher mitten im Grauen des Holocaust entdeckt. Gleichzeitig probiert sie ihre sexuelle Macht aus und schafft es, dass Thomas sogar für sie mordet. Die faszinierende Reise durch drei Besatzungszonen bis zum Wattenmeer bringt nicht die erhoffte Rettung, denn bei der Großmutter wird ein Regime autoritärer alter Frauen fortgesetzt. Doch Hannelore hat sich verändert, die scheinbar heile Welt kann sie nicht mehr akzeptieren.

Mit enorm starken (Natur-) Atmosphären und guten Schauspielern berührt dieser Kinderzug durch Wälder und abseits von Klischees. Cate Shortlands („Somersault") untypischer (Nach-) Kriegsfilm über Deutschland im Jahre Null atmet als britisch-australisch-deutsche Produktion einer australischen Regisseurin entsprechende Distanz, die sich kreativ auszahlt. So wie in dieser Verfilmung von Rachel Seifferts preisgekrönter Novelle „Die dunkle Kammer" wurde diese Zeit noch nie gezeigt, deshalb kann diese Geschichte intensiv wirken und bewegen. Der Publikumspreis auf der Piazza von Locarno war deshalb zu erwarten und verdient. Ein guter Kinoerfolg ist dem außergewöhnlichem Drama zu wünschen und danach noch der übliche Oscar für so ein Thema, der dann das einzige Klischee dieser Geschichte wäre.

Skyfall

USA, Großbritannien 2012 (Skyfall) Regie: Sam Mendes mit Daniel Craig, Judi Dench, Javier Bardem 143 Min. FSK ab 12

Alles über Bonds Mutter / M für Mama

Irgendwie sieht er noch immer aufgesetzt aus, der kantige Kopf Craigs auf dem Smoking vom Kostümverleih oder aus der Mottenkiste (immerhin ist diese Filmfigur schon ein halbes Jahrhundert alt). Was den Craig-Bond erneut vor der fortgesetzten Selbstparodie der Moore- und Brosnan-Epochen rettet, ist die Regie von Sam Mendes - auch wenn der sagt, er hätte für den Film "seinen inneren 13-Jährigen" abrufen müssen. Kinderkram also, wenn er ziemlich unrealistisch eine U-Bahn in den Untergrund krachen lässt. Oder mit einem dieser Büro-Hubschrauber aus dem Elektronik-Versand, der aussehen soll wie echt, das Landgut namens Skyfall dem Erdboden gleich macht.

Doch zwischen den meist einschläfernden Action-Routinen, liegt der entscheidende Kniff von "Skyfall" darin, dass der vormals unkaputtbare James Bond noch menschlicher und schwer verletzt angelegt ist. Das „sterben lassen und wieder beleben" gerät in der ersten Hälfte eines über zwei Stunden langen Films geradezu zur morbiden Obsession - angefangen mit Nahtod-Sequenz des Vorspanns. Wie bei anderen Versuchen, Filmstandards zu beleben - zuletzt mit Batman - ist es ein andauerndes Untergehen, Untertauchen, für tot oder unfit erklärt werden. Die Zerstörung des Unzerstörbaren kostet „Skyfall" ausführlich aus.

Aber auch mit einigen eindrucksvollen Inszenierungsmomenten kann Mendes beeindrucken: Die diffuse Psyche Bonds projiziert sich auf Schatten- und Spiegel-Spiele. Die geraten in einem Shanghaier Hochhaus zu einer wunderschönen Sequenz experimenteller Videokunst. Riesenquallen aus Licht irgendwo in einem Stockwerk weit über Hundert sind weitaus reizvoller als das „ermüdende Rennen und Ballern" (Zitat Oberschurke Silva).

Punkte gibt es auch für Javier Bardem als rachsüchtigen Ex-Agenten Silva: Schon sein Auftritt, ein langes, langsames Annähern aus der Tiefe des Raumes bis zur Nahaufnahme, hat Klasse. Mutig auch Silvas homoerotische Anmache von Bond, die den modernen Undercover-Mann allerdings keineswegs schockiert: „Wer sagt, dass dies das erste Mal wäre...?" Bardem übererfüllt in jeder Szene, mit jedem Satz die Erwartungen an einen Bond-Schurken. Seine Geschichte von enttäuschter Mutterliebe - eine von zweien - ist guter Psycho. Die von Bond zur gleichen M(ama) eher Melodram, aber beides zusammen weckt den Eindruck, Mendes hatte seinen Almodovar drehen wollen. Gleich mit dem Almodovar-Darsteller Bardem!

Etwas Handlung gibt es auch, angenehm undramatisch bleiben die Klischees der Weltpolitik außen vor: Während Bond als Todgeglaubter am Strand rumvögelt (der herausgestellten Alkohol- und Tabletten-Abhängigkeit sollte man noch die Sex-Sucht als Problem hinzufügen), fliegt M (Judi Dench) in London das MI6 um die Ohren. Statt jedoch in Würde abzutreten, will die fluchende, bärbeißige Geheimdienst-Chefin noch den Laden aufräumen, der von Hackern untergraben wurde. Die am Anfang noch routiniert zügige und auf türkischen Eisenbahnen zugige Action zieht sich jedoch immer mehr zurück.

So ist dieser „Wolkenbruch" (dt. für Skyfall) vielleicht eine kalte Dusche für Bond-Fans, aber ein richtig guter, psychologisch spannender und kurzweiliger Film, der so weit wie möglich die öde Action-Routine reduziert. Dass Filme und Geheimagenten immer noch alles kaputt machen dürfen und dass M nun dafür zahlen soll, dass sie ihre eigenen Agenten opferte, geht leider nicht bis zur systemimmanenten Bond-Kritik.

24.10.12

Der Illusionist

Fr/B 2010 (L'illusionniste) Regie: Sylvain Chomet

Ein neuer Film von Jacques Tati! Nein, die ist kein Halloween-Scherz oder eine filmhistorische Ausgrabung. Sylvain Chomet („Das große Rennen von Belleville") schuf nach einem Original-Drehbuch von Filmlegende Jacques Tati kongenial einen Zeichentrickfilm, der rechtzeitig zum 30. Todestag des französischen Komikers und Regie-Genies am 4. November auch endlich in Deutschland erscheint: Ein alternder französischer Zauberer - erkennbar geformt nach Silhouette und Bewegungen Tatis - reist auf der Suche nach Engagements und einem Publikum, das seine Auftritte noch zu würdigen weiß, durch die Welt. Längst am Tiefpunkt seiner Karriere angelangt, lernt er in einem schottischen Pub das junge Zimmermädchen Alice kennen – eine Begegnung, die das Leben der beiden für immer verändern wird.

„Der Illusionist" vereinigt die Qualitäten von Sylvain Chomets früheren Filmen mit der sympathisch verschrobenen Tati-Figur Monsieur Hulot. Kein Wunder, wurde doch schon Ideen aus Tatis Kurzfilm „Die Schule für Briefträger" (1947) zu Schlüsselszenen in „Das große Rennen von Belleville". Und beide Filmemacher gleichen sich in vergeblich aber liebvoll verteidigter Nostalgie.

22.10.12

Die Hochzeit unserer dicksten Freundin

USA 2012 (Bachelorette) Regie: Leslye Headland mit Kirsten Dunst, Isla Fisher, Lizzy Caplan, James Marsden, Kyle Bornheimer, Rebel Wilson, Adam Scott, Haynes MacArthur ca. 100 Minuten

Drei frustrierte, egozentrische Zicken düsen für die Hochzeit ihrer High School-Freundin Becky (Rebel Wilson) an. Genas (Lizzy Caplan) Blowjob-Klassifizierung für den fremden Sitznachbar im Flugzeug macht deutlich, wohin die Reise geht: Hier soll so was deftig Ordinäres wie „Hangover" mit Frauen fabriziert werden. Wobei statt Tiger, Tattoo und sonstigen Katastrophen vor allem das Hochzeitskleid zerstört wird. Oh ja, ein Sauf-Pillen-Koma gibt es auch für zehn Minuten. Also alles nicht wirklich schlimm.

Zweifel an der Freundschaft der vier „B-Faces" bekommt man auf den ersten Blick. Gena und Katie (Isla Fisher) wollen sich so schnell wie möglich und immer wieder Koks in die Nase reiben. Die herrische Regan (Kirsten Dunst) platzt vor Eifersucht, weil Becky als Erste von ihnen heiratet. Die hingegen will einfach nur einen netten Abend mit Champagner und Eiscreme im Hotelzimmer. Becky sieht aus wie die vorlaute, nervige Vicky Pollard („aber Ja, aber Nein, aber Ja ...") aus Little Britain. Als wichtigste und fast einzige Charakter-Eigenschaft hat ihr das Drehbuch „Pummelchen" zugeschrieben. Dem völlig unoriginell angeheuerten Stripper rutscht mittendrin ein „Pig Face" (Schweinegesicht) raus. Von wem er das wohl hat? Auf jeden Fall ist der Junggesellinnen-Abschied ohne Braut ab nun gemachte Sache.

Beim Scherzen über den Umfang des Hochzeitskleides zerreißt dies großflächig. Ersatz muss her, oder eine Schneiderin. In der langen Nacht der Peinlichkeiten geht es aber vor allem ums Paaren. Gena und Clyde (Adam Scott) streiten sich nach Jahren der Trennung wieder zusammen - er ließ sie einst bei einer Abtreibung alleine. Katie und Joe (Kyle Bornheimer) sind zwei Dope Heads, die sich kaum an was erinnern können. Was überhaupt an Gehirn da war, haben Drogen und Alkohol weggebrannt. Dafür weiß sogar der entschlafene Zuschauer, dass die beiden sich kriegen werden. Feldwebel Regan bleibt bis auf einen Quicky alleine, doch sie und die Braut Becky erneuern ihre Freundschaft über Erinnerungen an frühere Bulimie-Zeiten. Nachdem das alles geregelt ist, müssen noch dreißig Minuten Finale mit Schminken, Haaremachen und Anziehen gefüllt werden.

Kirsten Dunst als totunglückliche Erfolgsfrau Regan sieht den ganzen Film über noch angeekelter aus als damals in Cannes bei der Nazi-Pressekonferenz zu „Melancholia" neben Lars von Trier - und man versteht sie gut. Ob Frauen sich mit diesen hässlichen und gehässigen Figuren identifizieren wollen, müssen sie selbst entscheiden. „Die Hochzeit..." ist immer noch ein Chic-Movie. Auch - oder vor allem - wenn keine der Brautjungfern „nett" im klassischen Sinne ist. Auf keinen Fall braves Heiratsmaterial. In dieser Mini-Revolution könnte man vielleicht etwas Positives sehen. Das einzig Positive an dieser auf allen anderen Gebieten misslungenen Komödie.

Hotel Transsilvanien

USA 2012 (Hotel Transylvania) Regie: Genndy Tartakovsky 91 Min.

Mittlerweile hat Halloween Deutschland komplett kolonialisiert - zur Freude der Kostümverleiher und Ausstattungsläden. Passend dazu gibt es nun in den Kinos Frankenstein, Dracula, den Unsichtbaren, die Mumie und wirklich viele Werwölfe. Alle zusammen in einem Film und einem Wellness-Hotel für Monster. Graf Dracula schmeißt nämlich in der überdrehten Animation „Hotel Transsilvanien" eine Party für seine Tochter Mavis, die mit 118 Jahren endlich volljährig wird. Ein großes, freundliches Gähnen mit Mumien-Mozart und -Beethoven als Band. Bis sich ein neugieriger Rucksack-Tourist hinter den Siebenbürgen und den sieben Zwergen verirrt und die Monster-Party sprengt.

Dabei hat der Graf nicht nur mit Organisation und der kunterbunten Gästeschar genug zu tun, auch familiär ist der Kontrollfreak gefordert. Denn Mavis zieht ihre unwiderstehliche Fledermaus-Schnute. Sie will endlich mal aus dem Schloss dürfen, zu den Menschen, vor denen all die Monster so viel Angst haben. Auch Dracula hat eine traumatische Geschichte hinter sich - das Übliche mit Fackeln, Pfählen, Feuer und Silberkugeln. Deshalb will er die halbseitig verwaiste und ansonsten gänzlich untote Tochter schützen, einsperren, vielleicht sogar besser noch einmauern. Eine Inszenierung mit Dorfkulisse und als Bauern verkleideten Zombies soll helfen, um Mavis das wahre Wesen der Menschen zu zeigen. Funktioniert aber nur bis der reisende Teenager Jonathan aus Versehen in die Monster-Gesellschaft stolpert. Nun hat Graf Dracula noch mehr damit zu tun, das Jüngelchen als angenähtes Mitglied der Familie Stein auszugeben. Gestatten: Johnny Stein, irgendwie mit dem rechten Arm von Frankenstein verschwägert. Der ungebetene Gast bringt derweil Schwung in die verstaubte Party und wird schnell zum Liebling aller. Selbst Dracu bekommt Spaß, aber auf keinen Fall darf Mavis sich noch mehr in den Kerl verlieben...

Die Zeichentrick-Komödie „Hotel Transsilvanien" beherbergt tollen Kurzweil, wobei die Betonung auf toll wie Tollwut oder ähnliche Anfälle liegt. Die Ansammlung von Monster-Gestalten, die alle ihre eigene (Film-) Geschichte mitbringen, ist eindrucksvoll und atemlos. Dann geht schon das Gerenne los, wenn sich Dracula sich in eigenen Geheimgängen bei dem Versuch verläuft, Johnny zu verstecken. Eine Verfolgungsjagd auf fliegenden Tischen gibt genauso Gas wie die rennenden Ritterrüstungen, die den Koch Quasimodo einfangen wollen. Die wandelnden Blechdosen funktionieren nebenbei als Walkie-Talkies - die lustigen Ideen gehen dem Film nie aus. Da wird dem Unsichtbaren die Schwimmhose runter gezogen, ein redseliger Schrumpfkopf kommentiert alles, Kreisch-Käse kommt auf die Brote. Dracula bekommt für seine expressive Körperhaltung, für sein bissiges voguing Bestnoten. Frankenstein hingegen verkündet die Wahrheit seines früheren Meisters James Whale: Menschen sind die wahren Monster. Aber selbst das löst sich in Wohlgefallen und Spaß auf. So sehr, dass schon kurz nach dem Film der ganze Spuk aus dem Gedächtnis verschwunden ist. Gibt es Popcorn eigentlich auch in orange und Kürbisform?

PS. Das 3D kann man sich total sparen.

16.10.12

Vivan las Antipodas (DVD)

Regie: Victor Kossakovsky

Bewegend, wie Victor Kossakovky in seiner Doku „Vivan les Antipodas" die Welt auf den Kopf stellt: Antipoden lautet die griechische Bezeichnung für „Gegenfüßler", die Menschen, die genau auf der entgegengesetzten Seite der Erde leben. Der Film porträtiert
vier Paare exakt gegenüber liegender Orte - Antipoden halt. Was gar nicht so einfach ist auf dieser Erde, die größtenteils von Wasser bedeckt ist. So führt der immer wieder überraschende Film von einer Furt in Argentinien, die von zwei verschrobenen Brüdern gewartet wird, zur wuseligen Metropole Shanghais, von Ameisen auf einem spanischen Fels bis zu einem gestrandeten Wal in Neuseeland. Man staunt immer wieder angesichts so viel genial antipodisch montierter Welt.
Tolle Bilder werden von witzigen Kommentaren ergänzt, wenn etwa einer der auch bei Hochwasser sehr gelassenen Argentinier meint: „Lass uns schlafen gehen, jetzt muss China sich im die Welt kümmern." Nicht nur wenn ein Fischaugen-Objektiv die Landschaft formt oder das Bild tatsächlich auf dem Kopf steht, bevor wir die glühende Lava auf dem Big Island von Hawaii bestaunen, verändert diese neue Perspektiven die Weltsicht. Sounddesigner dieses einzigartigen Films war übrigens der 1957 in Maastricht geborene Michael Schöpping.

Die Wahrheit über Männer

Dänemark 2010 (Sandheden om Maenden / Truth about Men) Regie: Nikolaj Arcel mit Thure Lindhardt, Tuva Novotny, Rosalinde Mynster, Signe Egholm Olsen, Henning Valin 95 Min. FSK ab 12

Männer denken nur an sich selbst - das ist die erste Erkenntnis in diesem eher ernüchternden als komischen Aufklärungsfilm. Der kleine Mats hört diese Weisheit schon als Kind in einem Aufklärungsfilm seiner Mutter, die Sexualtherapeutin ist. Deshalb beglückt Mats als Mann (Thure Lindhardt) jederzeit alle Frauen im Bett. Nur nie die Richtige. 23 Frauen liebte er in seinem Leben, keine von denen hat ihn je angesehen. Die Liebe seines Lebens verschwand nach einem langen Kuss nach Australien und erscheint nur noch in seiner Fantasie, immer wenn er die Realität besonders wenig aushält. Mats fühlt nichts bei der feierlichen Verkündung seiner Frau - vor vielen Gästen und Geschenken - dass sie Kinder haben wollen.

Auf einer anderen Ebene wird die klassische Drehbuch-Theorie der fünf Wendepunkte erklärt und immer wieder bestätigt sie die Vorhersehbarkeit des in Routine gefangenen TV-Autoren Mads. Der erfolgreiche, geschätzte und unendlich gelangweilte Drehbuchautor nimmt ein paar Änderungen an seinem eigenen Leben vor, verlässt die Freundin nach zehn Jahren und will alleine ein vernünftiges Drehbuch schreiben. Nach zahllosen One Night Stands auf Basis seines frühen Zeichentrick-Erfolgs, den auch die jüngeren Frauen lieben, folgt der Zusammenbruch.

Nikolaj Arcels gelang bei seiner dritten Regie-Arbeit „Die Wahrheit über Männer" eine Art dänischer „8 1/2". Die nicht wirklich fröhliche Sicht auf das Leben, das im besten Fall aus einem „Rauf und Runter" besteht, berührt, überzeugt und amüsiert auch manchmal mit vielen, schönen Inszenierungs-Ideen. Klug geschrieben, gut gespielt und kompromisslos bis zum nicht vorhandenen Happy End realisiert, erinnert „Die Wahrheit über Männer" mit seiner existenziellen Fragestellung an Meisterwerke früherer Epochen. Dies ist Nikolaj Arcels dritter Spielfilm. Er entstand vor „Die Königin und der Leibarzt", dem mit dem „Silbernen Bären" ausgezeichneten, schwächeren Kostümfilm.

15.10.12

Zeit zu leben

USA 2012 (People like us) Regie: Alex Kurtzman mit Chris Pine, Elizabeth Banks, Michael Hall D'Addario, Michelle Pfeiffer 114 Min.

Es soll Filmserien geben, die gleich drei Folgen brauchen, um zu sagen „Ich bin dein Vater". Kann funktionieren, wenn man die Gründe dafür richtig einbaut. „Zeit zu leben" lässt sich viel Zeit zum reden. Der Satz „Ich bin dein Bruder" fällt jedoch erst am Ende und es gibt keinen Grund, weshalb Sam (Chris Pine) es Frankie (Elizabeth Banks) nicht schon früher gesagt hat. Wie Kritiker-Papst Roger Ebert so treffend bemerkte, dieser Film hat das große Problem, dass sein Problem nach weniger als 30 Minuten erledigt sein könnte. Also weiß man, was passiert und kann mit gebremsten Interesse dem ansonsten schön gemachten Rest folgen. Denn wie der etwas orientierungslose Sam aus New York in Los Angeles nach dem Tod des ungeliebten Vaters seine Stiefschwester und deren Sohn Josh (Michael Hall D'Addario) kennenlernt, wie Sam auch das Verhältnis mit seiner Mutter Lillian (Michelle Pfeiffer) aufräumt, ist hervorragend besetzt, hat gute Gesichter und hochwertige Musik. Kein Wunder - Sams Vater war legendärer Platten-Produzent und auch Josh erhält Nachhilfestunden in Sachen echter Musik. Die Musik liegt in den Genen, darauf kann man schon mal eine Freundschaft mit einem schwierigen Neffen aufbauen, der noch gar nicht weiß, dass er einen Onkel hat. Sam und Frankie, die Alkoholikerin, verführerische Kellnerin und chaotische Mutter, verstehen sich derweil immer besser, flirten eigentlich miteinander. Es sind - Pfeiffers Mutter eingeschlossen - Figuren mit großen Herzen, die nur ein wenig unruhiges Fahrwasser brauchen, um doch das Richtige zu tun. Dafür hat Sam zuhause riesige Probleme wegen einer Zugladung Suppen, die in Mexiko wegen Überhitzung explodierte, aber er galt ja als Spezialist in Sachen Wegrennen. Ja, es gibt auch sehr witzige Szenen, etwas das Auf(b)rauchen von Papas medizinischem Krebs-Marihuana. Vieles ist vorhersehbar, aber wie es gemacht wurde, überzeugt. Einige Dinge sind auch unwahrscheinlich, vor allem, dass dieser Film von Alex Kurtzman stammt, der bisher die Bücher zu solch echt flachen Genre-Filmen wie „Cowboys & Aliens", „Transformers", „Star Trek", „Mission: Impossible 3", „Die Legende des Zorro" oder „Die Insel" geschrieben hat. Gut, dass er sich Zeit zu leben und für richtige Geschichten genommen hat.

Angels' Share - Ein Schluck für die Engel

Großbritannien/Frankreich/Belgien/Italien, 2012 (The Angels' Share) Regie: Ken Loach mit Paul Brannigan, Siobhan Reilly, John Henshaw, Gary Maitland 101 Min. FSK ab 12

Nein, die Wahrheit lässt sich auch mit viel Weingeist nicht verbiegen: Es wäre eine schöne Metapher, dass Ken Loach wie guter Whisky mit den Jahren immer besser wird. Zwar hat der 77-jährige Brite mittlerweile fast fünfzig Filme gedreht, doch sie waren schon immer gut. Allerdings selten so durchgehend komisch und hoffnungsvoll wie „Angels' Share". Dafür gab es in Cannes 2012 zwar „nur" den Preis der Jury, nicht die Goldene Palme wie 2006 für sein düsteres Nordirland-Drama „The Wind That Shakes the Barley". Loachs kräftiger Schluck aus der Komödien-Pulle könnte jedoch so zu einem seiner erfolgreichsten Filme werden.

Der Cannes-Sieger und alte britische Sozialist Ken Loach filmt dort, wo andere nicht mal flüchtig hinschauen wollen. Seine Helden sind die Arbeitslosen, Säufer, Schläger und kleinen Kriminellen. Sie haben oft als Jugendliche schon keine Chance mehr. Wie Robbie (Paul Brannigan) aus Glasgow, der sich in der Vergangenheit als brutaler Schläger gezeigt hat und jetzt nur nicht in den Knast muss, weil er bei der Gerichtsverhandlung schon zehn Monate brav mit seiner Freundin zusammen war und beide ein Kind erwarten. Den Arbeitsdienst erledigt Robbie beim gutherzigen Streetworker Harry (John Henshaw), der ihn mit der Whisky-Feinschmeckerei in Kontakt bringt. Wie nun Robbie mit seiner lustigen Truppe von jungen Straf-Arbeitern, unter anderem ein Volltrottel und eine Kleptomanin, nicht nur tief ins Glas schaut, sondern auch raffiniert seinen Anteil bei einer exorbitanten Versteigerung abzweigt, ist leichte Unterhaltung vor sozialem Hintergrund. Wer jetzt an Loachs Alkoholiker-Film „Mein Name ist Joe" denkt, ist Spielverderber.

Robbie kommt nicht nur auf den Geschmack, seine Rezeptoren schlagen sogar die edler Schnapsnasen, die schon lange im lukrativen Geschäft sind. Außerdem erweist er sich als viel raffinierter, als ein exklusives Fass Whisky für Millionen versteigert werden soll. Robbie und seine Kumpels bemühen den „Anteil der Engel" - „The Angels' Share" sind die paar Prozente Alkohol, der im Reifeprozess verdampft. Man kann ihn aber auch abzweigen und damit ein neues Leben beginnen. Unsere vier Helden von ganz unten wird auch hierbei nicht geschenkt und es geht manches teure Glas zu Bruch. Gleichzeitig muss sich Robbie einer britischen Art von Blutrache erwehren, denn die Familie eines seiner Opfer stellt ihm brutal nach.

Ken Loach wird beim Altern nicht unbedingt immer besser - aber hoffnungsvoller ist sein Neuer auf jeden Fall. Auch was Gutes. Erneut arbeitete er mit seinem Drehbuch-Autor Paul Laverty zusammen. Das bürgt für glaubwürdige und lebensechte Charaktere. Wenn so ein paar echt schwierige Typen aus der Unterschicht auf den Geschmack von sehr exklusivem Whisky und einer anständigen Ausbildung kommen, ist das in jeder Hinsicht ein positiver Spaß. Ganz in der Tradition britischer Sozial-Komödien und aufrichtig im Geiste des linken Kämpfers Ken Loach.

Das Kind

BRD 2012 Regie: Zsolt Bács mit Eric Roberts, Ben Becker, Sunny Mabrey, Christian Traeumer 118 Min. FSK ab 16

Ein Film mit Eric Roberts, Ben Becker und Dieter Hallervorden! Noch kurioser ist da nur die Tatsache, dass „Didi" gar nicht komisch einen richtig erschreckenden Päderasten und Sadisten spielt. Ansonsten gelang dem Schauspieler Zsolt Bács in seiner zweiten Regie einen der peinlichsten Film-Unglücke des Jahres: Nach einer Rückführung kann der totkranke Zehnjährige Simon Sachs (Christian Traeumer) seine Krankenschwester Carina Freitag (Sunny Mabrey) an den Ort eines Mordes führen, den er vor 15 Jahren begangen hat. Genau, kein Druckfehler, sondern etwas Mysteriöses! Der mürrische Anwalt Robert Stern (Eric Roberts) will die Sache nicht aufklären, wird aber bald von einem anonymen Anrufer gezwungen, der seiner Ex-Frau entführt hat. Zudem quälen Simon Stimmen, die von einem zukünftigen Mord erzählen und ein Päderasten-Ring hat einige Opfer zu vermelden...

Was ist bemerkenswerter an dieser Verfilmung eines Sebastian Fitzek-Krimis? Die Föhnfrisur des hüftsteifen Eric Roberts? Die billigen Kulissen? Die elende Rücksynchronisation aberwitzig dämlicher Dialoge des in Berlin auf Englisch gedrehten Films? Was triebt Ben Becker dazu, einen feisten Brutalo zu spielen? Wieso ist alles wirr und wieso wurde immer zu dick aufgetragen? Und weshalb sagt Simon, dies sei der glücklichste Tag in seinem ganzen Leben, Sekunden bevor er stirbt? Weil er jetzt raus ist aus dem Film? Fragen über Fragen. Wirklich ein mysteriöser Film!

Premium Rush

USA 2012 (Premium Rush) Regie: David Koepp mit Joseph Gordon-Levitt, Michael Shannon, Dania Ramirez, Jamie Chung 91 Min.

Wer bremst, verliert. Mit dieser klassischen Radsport-Weisheit stürzt sich die rasante Premium-Action namens „Premium Rush" in die andauernde Rush Hour von New Yorks Straßen. Es geht um Leben und Tod, schon im normalen Alltag der Fahrrad-Kuriere, unter denen Wilee (Joseph Gordon-Levitt) einer der schnellsten und überzeugtesten ist. Denn eigentlich steht ihm eine erfolgreiche Karriere offen. Doch den Zwang des Anzugs will Wilee keineswegs mit Freiheit und Wahrheit der Straße tauschen. Selbstverständlich fährt er mit den neumodischen Fixies - ein Gang, kein Freilauf, keine Bremsen. Wer bremst, verliert...

Die alltäglichen Attacken der Autofahrer erwischen Wilee jedoch bald mit geplanter Bösartigkeit, nicht bloß aus dem üblichen Du störst-Affekt. Die Frage, was schlimmer ist, bleibt offen. Weshalb der Polizei-Kommissar Bobby Monday (Michael Shannon) unbedingt an einen Kurierbrief will, den Wilee von Nima (Jamie Chung), der chinesischen Mitbewohnerin seiner Freundin Vanessa (Dania Ramirez) bekam, klären raffinierte Rückblenden und parallele Szenen auf. Dabei funktioniert die Lieferung als McGuffin, wenn auch mit Extra-Portion Rührung ausstaffiert. Wichtig sind die Verfolgungs-Jagden durch Tiefgaragen, Tante Emma-Läden und Gegenverkehr, das Driften durch Kurven und das Überqueren von Kreuzungen mitten in der Rotphase.

Wilee hat bald nicht nur den korrupten Kommissar gegen sich, sondern - auf der komödiantischen Fahrspur - auch einen albernen, aber verbissener Rad-Polizisten in kurzen Hosen. Diskussionen mit Freundin Vanessa übers Handy, während man sich mit einer Hand vom Taxi über den Time Square ziehen lässt, bringen Raser-Romantik in einen im wahrsten Sinne atemlosen Film.

Mit klassischer Rückblende von einem heftigen Abflug erzählt „Premium Rush" hoch spannend, raffiniert konstruiert und ohne Bremse. Wie Wilee kennt die Action nur einen Gang, der immer durchläuft, die Beine stehen nie still. Ein Thriller in vollem Bike-Messanger-Tempo, dazu eine Beziehungsgeschichte und Einblicke in Polizei-Korruption. Joseph Gordon-Levitt beeindruckt nach klasse Auftritten in „Inception", „Looper", „The Dark Knight rises" und „50/50" auch als cooler, flotter Typ auf zwei Rädern. Sein bedrohlicher Gegner, der Top-Actor Michael Shannon („Take Shelter"), wird demnächst übrigens als „Iceman" seine längst verdiente, große Hauptrolle bekommen.

Die entscheidende Person für das Gelingen dieser mit vielen Stunts und witzigen Animationen sehr gelungenen Action ist jedoch Autor und Regisseur David Koepp. Wer diesen Namen noch nicht mit allerbester Qualität verbindet, kann sich ein paar Highlights seiner eindrucksvollen Arbeits-Liste genüsslich in der Erinnerung aufrufen: Neben den Drehbüchern zu „Men in Black 3", „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels", „Krieg der Welten", „Spider-Man", „Jurassic Park", „Mission: Impossible", „Carlito's Way" oder „Der Tod steht ihr gut" inszenierte er selbst spannende Filme wie „Echoes - Stimmen aus der Zwischenwelt" (1999) und „Der große Stromausfall - Eine Stadt im Ausnahmezustand" (1996). Nachdem Koepp „Premium Rush" wieder punktgenau abgeliefert hat, sieht man hoffentlich bald wieder mehr vom 49-Jährigen.

13.10.12

Miss Bala

Mexiko 2011 (Miss Bala) Regie: Gerardo Naranjo mit Stephanie Sigman, Irene Azuela, Miguel Couturier, Gabriel Heads, Noe Hernandez, James Russo 113 Min.

Zwischen Action-Film, Sozial-Drama und Gewalt-Märchen siedelt der mexikanische Regisseur Gerardo Naranjo („Voy a explotar") den unglaublichen Trip der jungen Laura, die wie viele jungen Mädchen Schönheitskönigin werden will. Doch im Norden Mexikos beginnt für Laura auf eine Odyssee, die als Geschichte packt und dabei viel von der kriminellen Energie dieser Gesellschaft vermittelt.

Die 23-jährige Laura Guerrero (Stephanie Sigman) ist aufgeregt wie all diese Mädchen auf allen Kontinenten, die sich als Schönheitskönigin eine Abkürzung zum Glück oder vor allem zum Wohlstand erkaufen wollen. Laura lebt in ärmlichen Verhältnissen in Mexiko, was einiges der rasanten Ereignisse erklärt, die sie in einen Strudel der Gewalt einsaugen. Mit einer Freundin geht sie eher zögerlich zu einer Party von Polizisten, die kurz darauf Zielscheibe einer brutalen Gang wird. In einer unglaublich spannenden und atemberaubenden Szene überlebt Laura auf der Toilette nicht nur das Massaker, sie sieht sogar den Anführer unmaskiert. Doch auch der gefürchtete Gang-Leader Lino (Noe Hernández aus „Sin Nombre") erkannte das Mädchen, entführt sie später und benutzt sie - für kriminelle Hilfsdienste. Eine sexuelle Bedrohung schwingt bei dem martialischen Mann immer mit, doch erst einmal dient Lauras Aussehen nur als Fassade und Tarnung. Zuerst als Fahrerin bei einem Bombenanschlag, dann schließlich bei einem Attentat auf einen wichtigen Militär. Mit Luxuswagen, Flugzeugen, viel Geld und gewaltigen Waffenarsenalen zeigt sich um sie der Drogenschmuggel im ganz großen Stil.

Die Ereignisse überschlagen sich, die Gewalt nimmt in extremem Maße zu, Laura wächst an den lebensgefährlichen Situationen. Sie ist kein Dummchen, das nur gut aussehen will. Ihr Spiegel zuhause ist mit berühmten Frauen geschmückt, sie schützt ihre Familie und verfolgt weiter den Plan, „Miss Baja California" zu werden. Dabei ist sie längst Miss Bala (Fräulein Kugel) geworden, mit neuer Entschlossenheit gewinnt sie die absurde, selbstverständlich auch korrupte Kür. Ein doppelter Hohn angesichts der Gewalt eines Staates zwischen Drogenkartellen und ebenso krimineller Polizei.

Der Regisseur Gerardo Naranjo machte schon 2008 mit dem märchenhaft-realistischen Jugendfilm „Voy a explotar" („I'm Going to Explode", FIPRESCI-Preis in Thessaloniki) auf sich aufmerksam. Nun gelingt ihm das Kunststück, packende Action in einer sehr realistischen Umgebung zu erzählen. Ein wichtiges Element dabei ist Hauptdarstellerin Stephanie Sigman, der die Kamera ganz dicht folgt und die niemals in Richtung Action-Braut a la Lara Croft abdriftet. Bei unfassbaren Ereignissen, denen man gebannt folgt, sieht man bis zum bitteren Ende das einfache Mädchen - dann allerdings von der harten Schule des Lebens in einem deregulierten Staat völlig ernüchtert. Wer meint, dies sei unrealistisch, kann die Zahl der Filmtoten mit den fast 50.000 realen Toten relativieren, die Präsident Felipe Calderóns „Krieg" gegen die Drogenkartelle seit 2006 zum Opfer fielen.

Gnade

BRD, Norwegen 2012 Regie: Matthias Glasner mit Jürgen Vogel, Birgit Minichmayr, Henry Stange, Ane Dahl Torp, Maria Bock 131 Min.

„Gnade" von Regisseur Matthias Glasner („Der freie Wille", „This is Love") spielt das spezielle deutsche Thema „Schuld" mit einem deutschen Ehepaar (Jürgen Vogel, Birgit Minichmayr) durch, das an den Polarkreis zieht, auch um die nicht mehr gute Ehe zu retten. Als Maria bei einem nächtlichen Unglück ein Mädchen anfährt, stellt die Frage, ob das sich das Paar als unschuldig Schuldige bei den Eltern melden soll, die Beziehung auf eine Bewährungsprobe.

Niels (Jürgen Vogel), Maria (Birgit Minichmayr) und ihr Sohn Markus (Henry Stange) zogen aus Deutschland an den Rand des Eismeers nach Norwegen. Er hat einen Job bei der Raffinerie, sie als Krankenschwester. In der Ehe lief es nicht so gut, Zeit für einen Neuanfang. Niels geht aber direkt mit einer Kollegin ins Bett, die Überstunden der zu gutherzigen Maria bremsen das Familienleben aus. Als sie in der langen Dunkelheit des Polar-Winters nach Hause fährt, überfährt sie abgelenkt - „da, wo man das Meer das erste Mal sieht" - ein Mädchen und lässt es in einer Schneewehe sterben. Unwissentlich, denn Maria hörte nur einen Knall und die Verletzte kroch mit letzter Kraft in den Graben. Auch Niels, der später noch mal zur Stelle des Aufpralls - eines Tieres? - fährt, findet nichts. Erst über die Zeitung erfahren beide vom Tod des Mädchens und müssen eine Entscheidung treffen...

Zuerst scheint die Beziehung von Niels und Maria an der Schuld zu zerbrechen, dann bringt diese auf überraschende und doch nachvollziehbare Weise alle zusammen. Niels gesteht Maria das Fremdgehen, sie nimmt es schockierend gelassen: „Ich liebe dich." „Gnade" zeigt den erschütterten Alltag mit seltsamen Kleinigkeiten: Marie beharrt etwa auf den ganz korrekten Preis für ein paar Ballen Tierfutter - bei dem Mann, dessen Tochter sie überfahren hat!

„Die Minichmayr", eine der besten Schauspielerinnen auf Bühne und Leinwand, ist wieder wie erwartet herausragend, wenn auch nicht ganz so gut wie in Ades „Alle anderen". Jürgen Vogel spielt einen stillen Mann, der noch stiller wird, weil er nicht richtig norwegisch gelernt hat. Niels macht deshalb viel mit dem Körper, sucht Sex. Marie (und Birgit Minichmayr) spricht hingegen fließend mit Kollegen und Nachbarn - vielleicht erleichtert es Niels nach dem Umfall auch, dass seine Frau nun nicht mehr so perfekt ist. Zentral in diesem Sinne Marias Aufschrei: „Ich bin das nicht, ich bin ein guter Mensch!"

Parallel dazu hat Sohn Markus ein Schul(d)problem, hat einem gemobbten Mitschüler in die Tasche gespukt, um dazuzugehören. Auch er muss mit seiner Schuld umgehen, ringt sich zu einer Ent-Schuldigung durch, die eine interessante Antwort bekommt. Sein iPhone übernimmt irgendwann die Rolle einer subjektiven Filmkamera, der Junior wird zum Autor und bringt dem Film eine weitere Ebene. „Gnade" transportiert viele Themen, viele spannende Aspekte von Schuld, Vergebung und - selbstverständlich - Gnade. Das vermittelt manchmal das Gefühl, er verzettelt sich. Das verhindert jedoch die klare Struktur mit zwei Grillfeiern im Garten an Knotenpunkten der Geschichte, mit dem erleichtert aufgenommenen Ende der Dunkelheit, mit einer starken Bildsprache wie dem riesigen Fels in der Brandung, von dem man nur die Spitze sieht. „Gnade", auf der Basis eines Drehbuchs vom skandinavischen Autoren Kim Fupz Aakesonist, mit Georg Maas' „Zwei Leben" gleich die zweite bemerkenswerte deutsch-norwegische Produktion, welche in diesen Wochen von sich reden macht. Und wie die Stasi-/Lebensborn-Geschichte ist auch der neue Glasner wieder ein Garant für intensive Diskussionen im und nach dem Film.

9.10.12

96 Hours - Taken 2

Frankreich 2012 (Taken 2) Regie: Olivier Megaton mit Liam Neeson, Maggie Grace, Famke Janssen, Rade Serbedzija 92 Min. FSK ab 16

Hier wird jemand enttäuscht: Die Action- und Gewalt-Fans bekommen lange eine Familiengeschichten wie in einem Disney-Film vorgesetzt, nicht wie in irgendeinem Action-Porn von Produzent Luc Besson. Nicht dass wir uns falsch verstehen: Nackte Tatsachen gibt es keine, der Film ist auf diesem Gebiet prüde wie die meisten. Doch Gewalt zeigte er im Vorgänger „96 Hours" auf so obszöne Weise wie ansonsten nur Pornos obszön sind. Mittendrin als gnadenloser Rambo Liam Neeson in der Rolle des frustrierten Leibwächters Bryan Mills, der seine Tochter aus den schmutzigen Händen von Entführern rettet.

Mills nimmt Sachen gerne selbst in die Hand, beim Polieren des Autos, aber auch beim Abchecken des neuen Freundes der Tochter per Peilsender im Handy. Er hätte auch Drehbuch und Regie aus den Händen von Regisseur Olivier Megaton nehmen sollen, der sich mit „Colombiana", der Action-Geschichte einer illegalen Immigranten-Rächerin mit Anflügen von Realismus interessant machte. Denn jetzt dauert fast eine halbe Stunde bis die Action anfängt, gefühlt sogar länger, bis in Istanbul schmale Gassen von einer Auto-Verfolgung terrorisiert werden. So ein mörderischer und material-verschleißender Film ist selbstverständlich nichts gegenüber dem normalen Alltag in einer Auto-verseuchten Stadt. Aber dass Bryan Mills und seine Ex-Frau Lenore (Famke Janssen) dann auch noch entführt werden, ist speziell. Ein Anruf zur Tochter Kim (Maggie Grace) im Hotel liefert vor allem das Stichwort „Taken". Also das gleiche Schema wie im erfolgreichen Gewalt- und Folter-Thriller „96 Hours" - nur mit verteilten Rollen und vor der Kulisse der Türkei an der Grenze zwischen Europa und Asien. (Soll die Tatsache, dass die Gegner islamischen Glaubens sind, auch etwas bedeuten? Ein Gegensatz von Kultur und Barbarei etwa?) Papa spielt seine Coolness als Mischung von McGywer und Bruce Lee auch aus, während er als Gefangener im einem Keller hängt. Die Tochter beweist seine Gene, wird aber konstant von Papa über Handy gebrieft. Ein Ortungs-Spielchen, bei dem man in Istanbul Handgranaten auf Dächer wirft, wirkt ebenso überzogen und unglaubwürdig wie Mills Kämpfe gegen hasserfüllte Gangster in Überzahl.

Prinzip Blutrache gegen einen braven Auftragskiller, der doch nur eine bessere Beziehung zu seiner Tochter haben will, die bei der geschiedenen Mutter lebt. Dass für diese drastische Familientherapie direkt haufenweise Menschen dran glauben müssen, ist das typische psychologische Deckmäntelchen solcher hohler Action-Aufwände. Zwar soll Liam Neeson dem Ganzen wieder physikalische Präsenz geben, dazu fügt man sein Image als ernsthafter Schauspieler. Die Rache-Aktion bringt auch den charismatischen Rade Serbedzija („In the Land of Blood and Honey" 2011, „Vor dem Regen" 1994) als Gegenspieler in die Brutalitäten. Aber zustimmen kann man Mills und dem Film nur, wenn er am Ende sagt „Ich bin der ganzen Sache so überdrüssig!" Immerhin bietet er ein Ende der Blutrache an, die ja auch im mazedonischen „Vor dem Regen" bitter beweint wurde. Doch ach, diese Osteuropäer wollen einfach nicht lernen. Sagt der Film, der nie was begreifen will, außer dem Prinzip, die Kassen mit einem Nachfolger wieder zu füllen. Doch selbst das versteht er nicht.

7.10.12

Savages

USA 2012 (Savages) Regie: Oliver Stone mit Aaron Johnson, Blake Lively, Taylor Kitsch, Benicio Del Toro, Salma Hayek, John Travolta 131 Min. FSK ab 16

Und? Letztens einen Film gesehen, der dein Leben verändert hat? Diese Frage an einen Kritiker ist durchaus bedrohlich, denn wer kann schon mehrfach pro Woche sein Leben ändern? Oliver Stone schaffte es immerhin zweimal im Leben einen Film zu machen, der einem die Füße unter der Realität wegreißt. „Savages" wiederholt den Effekt von „Natural Born Killers": Man kommt aus dem Kino und alles ist anders...

„Savages" ist eine Gangster- und Drogen-Geschichte, nicht wie alle anderen. Das fängt bei den beiden Bossen an: Sympathische, junge Kerle dieser Ben (Aaron Johnson) und Chon (Taylor Kitsch), die „Ben & Jerry's" des kalifornischen Marihuana-Verkaufs. Ihre Sorte ist durch raffinierten Anbau so geschmack- sprich: wirkungs-voll, ihre Organisation ist im Stile der Internet-Generation so dezentralisiert, dass man sie auch als Steve Jobs und Bill Gates der Rausch-Industrie bezeichnen könnte. Zwischen ihnen steht, oder besser: liegt Ophelia (Blake Lively), genannt O. Ein reizendes, fast paradiesisches Jules und Jim des Gangstertums, wenn nicht ein mexikanisches Drogenkartell per Email ein übles Kettensägen-Massaker-Video schicken würde. Als Einladung zum Geschäftsgespräch. Jetzt sehen die zwei Banditen „Butch Cassidy and the Sundance Kid" als Menetekel an die Wand projiziert. Ihre kontroveren Reaktionen: Der Irak- und Afghanistan-Veteran Chon will direkt und gnadenlos zurück schlagen. Der Biologe und Philosoph Ben macht auf Buddha und findet, es sei sowieso Zeit auszusteigen. 24 Stunden Bedenkzeit sind jedoch viel zu lang, die eiskalte Patin Elena (Salma Hayek mit Kleopatra-Frisur) erkennt O als verwundbare Stelle der Gegner und entführt die verwöhnte Drogenabhängige. In der Hand des ultrafiesen Lado (Benicio Del Toro) ist diese Gefangenschaft schon bei Zusehen schwer zu ertragen. Mit erzwungener Hilfe des korrupten Drogenpolizisten Dennis (John Travolta) entdecken Ben und Chon ihrerseits den schwachen Punkt von Elena und liefern ihr außerdem einen vermeintlichen Verräter im innersten Kreis aus. Dessen ultrabrutale Hinrichtung ist der nächste Schritt in einer Konfrontation, die nur im Massaker enden kann...

„Just because I am telling you this story doesn't mean I am alive at the end." Ja richtig, O, wir kennen die Filme, in denen Tote uns erzählen, weshalb sie mit dem Kopf nach unten im Pool treiben. Dass du uns eine Überraschung im Finale ohne Steigerung vorenthältst, ist etwas schade. Aber ansonsten ist Oliver „Rolling" Stone wieder über uns hinweggerollt und hat uns platt gemacht. Nicht, weil der Mann ein Schwätzer mit Worten und Bildern ist. Sein „JFK" war so eine unvergleichlich ermüdende Rede- und Montageschlacht. Nach dem historischen „Alexander" porträtierte er mit Castro und Chavez die politischen Visionäre von gestern und heute. Nun erzählt er überall, dass es eine Menge Gangster arbeitslos und tausende Menschen jährlich retten würde, wäre Marihuana nicht mehr illegal. Das weiß inzwischen jeder, der nicht in Bayern CSU wählt, man kann es aber auch vergessen und mit Entsetzen verfolgen, wie im Drogenkrieg aus einem Buddhist (Ben) und einem „Baddist" (Chon) zwei ganz schön böse und skrupellose Killer werden. Dabei wollte der eine sein Geld eigentlich in Sonnenkollektoren und 14 Dollar-Computer für afrikanische Kids investieren. Das allein reicht als Argument für „Legalize it!". Trotzdem klasse, dass Stone - nach der Vorlage „Zeit des Zorns" von Don Winslow - eine enorme Bild-, Musik- und Text-Gewalt auffährt, um uns mächtig zu beeindrucken. Dazu in genial schräg besetzten Rollen Hayek, Del Toro und Travolta als Höllenreiter der Cocakalypse. Das überfährt mehr, als dass es überzeugt. Man weiß eigentlich nicht, was man gesehen hat. Nur dass es gewaltig war.

Die Abenteuer der kleinen Giraffe Zarafa

Frankreich, Belgien 2012 (Zarafa) Regie: Rémi Bezançon, Jean-Christophe Lie 78 Min.

Die Anekdote der ersten Giraffe im Zoo von Paris, die dort 1827 auftauchte, entfaltet sich in dem wunderbaren Zeichentrickfilm „Zarafa" nicht nur für Kinder zu einem großen Abenteuer um Freundschaft und Freiheit. Der kleine Afrikaner Maki wird bei der Flucht vor Sklavenhändlern und ihren Bluthunden erst von einem Baum und dann einer Giraffe gerettet. In der Wüste erleben wir den Tod der Giraffenmutter aus emotional sicherer Distanz. Der arabische Nomade Hassan, ein großer Krieger, rettet Maki und die kleine Giraffe Zarafa - nicht zum letzten Mal. Und die Kinder, denen dies zu bedrohlich, beängstigend oder spannend wird, werden immer wieder von einem afrikanischen Geschichtenerzähler mit seinen Holzpuppen gerettet, der geschickt und augenzwinkernd Distanz zum Abenteuer schafft.

„Zarafa" - auf keinen Fall mit dem simplen „Zambezia" zu verwechseln - ist eine Kindergeschichte, doch keineswegs einfältig. Nicht nur die deutliche Darstellung der Sklaverei von grausamen Raubzügen in Afrika bis zu den erniedrigenden Diensten in Frankreich, behandelt das Thema Freiheit. Auch das schreckliche Prinzip Zoo wird den entsetzen Kindern vom Erzähler erklärt. Ganz nebenbei wird Geschichte aus dem alten Ägypten und dem Frankreich der Restauration unter einem herrlich lächerlichen Charles X. kindgerecht ins Bild gesetzt. Denn Hassan will die kleine Giraffe als Geschenk des Wesirs von Alexandria an den französischen König aus der belagerten Stadt schmuggeln. Das geschieht mit Hilfe eines Fesselballons und Maki ist immer dabei, da er seine Freundin nicht alleine lässt. Auch wenn er einen Teil der Reise mit griechischen Piraten zurücklegt. Das ist immer wieder herrlich komisch, etwa bei Kühen im Sturzflug oder bei der bald ausbrechenden Giraffen-Mode in Paris. Aber auch schillernd vielfältig - inhaltlich und im Bild. Als eine der treuen Kühe Soon und Moon stirbt, wird das eine kleine Lektion über Wiedergeburt, denn die Rinder waren selbstverständlich buddhistisch. Da hält die Traurigkeit über den Tod nicht lange an, weil ein Schmetterling die tröstende Idee belegt.

Jean-Christophe Lie, der bereits bei der Animation von Zeichentrickfilmen wie „Kiriku und die wilden Tiere" (2005) und „Das große Rennen von Belleville" (2003) mitwirkte, bringt diesen reduzierten Strich mit und lässt ihn zu sehr schön detaillierten Zeichnungen Afrikas erblühen. Auch die Figuren werden so differenziert dargestellt, wie man es nur noch selten im Zeichentrick sieht. So kann der Nomade Hassan noch vom Bauernbuben lernen, wie man eine Kuh melkt. Selbst das Überfliegen Frankreichs wird den Landschaften und Regionen gerecht. Dass selbst die ganze Geschichte, die ein gutes Ende findet, abenteuerlich aber nicht fantastisch ist, belegt die Historie vom Weißen Elefanten, der im Jahre 797 als Gastgeschenk des Kalifen von Bagdad vom Juden Isaak an den Hofe Karls des Großen reiste. Eine andere Geschichte, doch der rundum gelungene Film „Zarafa" hat das Zeug, so viel Neugierde in Kindern zu wecken, dass sie auch diese irgendwann entdecken werden.

Die Stooges - Drei Vollpfosten drehen ab

USA 2012 (The Three Stooges) Regie: Bobby Farrelly, Peter Farrelly mit Chris Diamantopoulos, Sean Hayes, Will Sasso, Larry David, Jane Lynch 93 Min. FSK ab 12

Die Glanzzeiten von „physical comedy" mit „Dick und Doof" oder in Ausläufern noch bei Jerry Lewis - als furchtbare Widergeburt: Jim Carrey - waren so etwas wie eine kindliche Phase der Filmgeschichte. Deswegen ist es auch angebracht, zu warnen „Kinder, nicht nachmachen", wenn immer wieder mit hupendem Geräusch der Finger ins Auge gestochen oder die Pauke den dauernden Tritt in den Hintern verstärkt. Schon diese „physical comedy" war physikalisch unmöglich, zumindest sehr ungesund. Besonders wild trieben es die, in den 30er-, 40er-und 50er-Jahren in den USA legendären „Three Stooges". Der Scheitel des Glatzkopfes Curly (Will Sasso) wird mit der Kettensäge gezogen, Larry (Sean Hayes) bekommt den Vorschlaghammer immer kräftig über den Kopf. Moe (Chris Diamantopoulos) teilt aus und sorgt für Kalauer am rennenden Band.

Slapstick und kindisches Herumalbern mit extrem debilen Figuren bestimmt die Geschichte um die Rettung des Kinderheimes der „Stooges". Genau wie bei „Blues Brother", nur halt niemals gut und meist kaum erträglich. (Für den Gesang ist allein Jennifer Hudson als Schwester Rosemary zuständig.) Während die erste der drei klassischen Episoden im Stil der alten Filmchen im Waisenheim spielt, entstehen aus der Konfrontation von heutiger Welt und den tatsächlichen Vollpfosten ein paar weitere Gags, während die Deppen versuchen, fast eine Million aufzutreiben.

„Die Stooges" ist das sehr unnötige Remake einer ganz speziellen Komik-Epoche, auf das nicht mal die USA, geschweige die Welt gewartet hat. Zwar dachte sich irgendein Produzent, dass sich niemand besser für ein Wiederaufleben dieses Trampel-Tripples eignet als die Komödien-Brüder Bobby und Peter Farrelly („Unzertrennlich", „Verrückt nach Mary"), doch die legten damit ihren mit Abstand uninteressantesten Film hin. Um sich an die Stooges und die problematischen Leben ihrer Darsteller zu erinnern, ist die 2000 erschienene Dokumentation „Die drei Stooges" geeigneter. Oder ein paar Minuten der Originale auf YouTube - das reicht.

Ein griechischer Sommer

Griechenland/Frankreich, 2011 (Nicostratos le pélican) Regie: Olivier Horlait mit Emir Kusturica, Thibault Le Guellec, François-Xavier Demaison, Jade-Rose Parker 95 Min.

Eine griechische Komödie - ja, das gibt es noch, obwohl man sich dort im Süden schon in der Antike auf Tragödie als Exportartikel spezialisierte. Doch sie können - mit französischer Anleitung - auch witzig: Wenn orthodoxe Mönche auf klapperigen Rädern von ihrem Obersten die Küstenstraße rauf und runter gescheucht werden. Wenn der Mechaniker in Kutte tollpatschig in seinen Werkzeugkasten trampelt, während die anderen mit einem Octopus albern, der nicht direkt am Hafen ausgeschlagen wurde. Denn dort herrscht Idylle pur: Bucht, Meer, blauer Himmel, weiße Häuser dekorativ dahingetupft. Nette Griechen, die alle Französisch sprechen und mittendrin ein launiger Emir Kusturica (Regisseur von „Underground"), der den launigen Fischer Demosthenes spielt. Dieser redet für Kusturicas Verhältnisse allerdings recht viel. Als verbitterter Witwer passt nur er nicht auf ein Tourismusplakat und bereitet seinem netten Sohn Yannis (Thibault Le Guellec) viel Sorgen. Doch eines Tages, als der junge Held mit seinem Moped ein Schiff im Hafen mit illegalem Raki beliefert, säuselt die Musik auf der Tonspur besonders süßlich. Beim ersten Anblick eines zerzausten, echt hässlichen Vogels im Maschinenraum des versifften Kahns, verliebt sich Yannis in das Federvieh, kauft es dem Kapitän ab und zieht es zuhause heimlich auf. Bald wird aus Nicostratos ein prächtiger Pelikan und der Wirt ist begeistert von den Runden, die das Großmaul majestätisch über der Bucht dreht - gut für die Touristen und viel besser als ein Pleitegeier über dem Ort.

Nun steckt der Spaß das Tierreich an, bei den Streitereien der lachenden Ziege mit dem nur in anderer Tonlage ebenfalls lachenden Pelikan. Aber auch dass sich der Vogel gewinnbringend zum Affen macht, zaubert noch kein Lachen auf das Gesicht von Yannis. Selbst nicht die neue Freundschaft mit der von allen bestaunten, lebenslustigen Angeliki (Jade-Rose Parker), der Nichte des Bistrobesitzers. Der Junge muss erst seinen trauernden Vater wieder ins Leben zurückholen, was ausgerechnet mit Lebensgefahr für Nicostratos erreicht wird. Damit es jeder kapiert, klingt die Tonspur im nicht wirklich dramatischen Finale sehr besorgt. Regisseur Olivier Horlait machte aus Eric Boissets Roman „Nikostratos" ein Stück altmodisch unbeschwerter Kinderunterhaltung, die auch dem griechischen Fremdenverkehrsverein gut tut.

1.10.12

Paris Manhattan

Frankreich 2012 (Paris Manhattan) Regie: Sophie Lellouche mit Alice Taglioni, Patrick Bruel, Marine Delterme, Louis-Do de Lencquesaing, Michel Aumont, Marie-Christine Adam, Woody Allen 80 Min.

Die etwas exzentrische Alice (Alice Taglioni) erzählt von ihrem Verhältnis mit Woody Allen, das im Alter von 15 Jahren begann und sich mit mindestens einem Rendezvous pro Jahr fortsetzte. Weil Allen mit schöner Regelmäßigkeit einen Film macht. Fast täglich hält sie französisch-englische Zwiegespräche mit dem riesigen Woody Allen-Poster in ihrem Zimmer, aber trotz all den weisen Ratschlägen - oder gerade deshalb? - findet sie nicht den richtigen Mann. Dafür verschreibt die Apothekerin (wie Claude Chabrol) auch schon mal einen Film statt Pillen. Selbst für einen Ladendieb hat sie Mitgefühl und die passenden DVDs. Als der besorgte Vater der mittlerweile Dreißigjährigen Männerbekanntschaften arrangiert, steht sie zwischen Vincent (Yannick Soulier), der wie sie (und Woody) Cole Porter liebt und dem bodenständigen Alarmanlagen-Installateur Victor (Patrick Bruel). In dem steckt kaum merklich etwas von Woody Allen, obwohl er noch nie einen von dessen Filmen gesehen hat. Obwohl sie herrlich kebbeln, verbringen Alice und Victor einfach immer mehr Zeit gemeinsam. Unter anderem damit, ihrem Schwager hinter zu spionieren, weil in dieser Familie jeder zwanghaft auf den anderen aufpasst. Trotzdem muss schließlich Woody Allen in einer seiner genialsten Szenen selbst auftreten, um das Liebesglück zu besiedeln.

Die liebenswerte und subtile Komödie siedelt ihre Stadtneurotikerin in Paris an, gewinnt durch Alice Taglioni und Patrick Bruel Herzen mit Leichtigkeit. Die Wandlungsfähigkeit der Hauptdarstellerin von verschrobenem Mauerblümchen zur Verführerin im engem Schwarz funktioniert ebenso wie Bruels bekannter Charme. Aber vor allem fließt „Paris Manhatten" über vor Liebe zum Film, zum Leben und für Paris.

On the Road - Unterwegs

Frankreich, Brasilien, Großbritannien, USA 2012 (On the Road) Regie: Walter Salles mit Garrett Hedlund, Sam Riley, Kristen Stewart, Amy Adams, Kirsten Dunst, Viggo Mortensen 140 Min. FSK ab 12

Jack Kerouacs "On the Road" hat Kultstatus. Als vor ein paar Jahren Walter Salles, der Regisseur, der "Die Reise des jungen Che" zu solch einem Erlebnis machte, mit Kerouac auf Tour ging, weckte das viele Erwartungen. Zudem war es ein Herzens-Projekt des Brasilianers, der er in einer Dokumentation Zeitzeugen und wichtige Leute wie Dennis Hopper über dies berühmte Buch befragte. Die Enttäuschung nach der Cannes-Präsentation von „On the Road" war deshalb umso größer.

Mit dem Text auf der Tonspur und einer Handvoll jungen Lesern, Säufern und Möchtegern-Literaten reisen wir über ein paar Jahre vom Ende der 40er bis in ein neues halbes Jahrhundert quer durch die USA. Antrieb der Ruhelosigkeit ist der vom Erzähler Sal Paradise verehrte Lebemann und Frauenverbraucher Dean Moriarty, so wie die irgendwann endende Freundschaft der beiden auch das Herz des Buches ist. Doch der Film atmet nur in wenigen Szenen die große Freiheit der Straße. Es ist als wenn sein Konzept in Zeiten von Billigflieger von vornherein aufgegeben wurde. Nur ein paar exzessive Partyszenen vermitteln die Lebenslust, die viele Leser begeisterte. Da helfen auch die guten Schauspieler von Kristen Stewart über Kirsten Dunst, Viggo Mortensen, Sam Riley bis zum Dean-Darsteller Garrett Hedlund nicht drüber weg.

Looper

USA, VR China 2012 (Looper) Regie: Rian Johnson mit Joseph Gordon-Levitt, Bruce Willis, Emily Blunt, Jeff Daniels, Piper Perabo, Paul Dano 118 Min.

Ein hervorragend besetzter Science-Fiction, der sich gleichzeitig Gedanken über Tyrannenmord und Kindererziehung macht, unterhält und zum Nachdenken anregt. „Looper" lohnt gleich mehrere Schleifen Kinobesuch mit Inhalt, Form und Mehrwert.

Im Jahr 2044 sind die Zeitmaschinen zwar immer noch nicht erfunden, doch ein ganzer Gangster-Zweig lebt gut von den Rückstößen zukünftiger Zeitreisen. Da in noch fernerer Zukunft Leichen nicht mehr zu verstecken sind, schicken die Bosse ihre Opfer zu einer festgelegten Zeit an einen bestimmten Ort und sogenannte Looper warten am Zeitloch, um die mit Sack überm Kopf Verhüllten in Sekunden hinzurichten und zu entsorgen. Joe (Joseph Gordon-Levitt) ist einer der Looper im Auftrag von Abe (Jeff Daniels), der selbst aus der Zukunft stammt und heute als Krimineller leichtes Spiel hat. Zwar weiß der väterliche Pate, dass Joe einen Teil der mitgelieferten Silberbarren für sich abzweigt, doch er mag Joe und kann seine psychopatische Persönlichkeit ausnahmsweise zurückhalten. Allerdings zieht sich die Schlinge um Joes luxuriöses Leben inmitten von Armut von der Zukunft her zu: Immer mehr Loops werden „geschlossen": Looper erschießen nichts ahnend ihr eigenes, dreißig Jahre älteres Ich. Die Silberladung dabei ist üppig, ein sorgenfreies Leben ist gesichert - dreißig Jahre lang. Wer sich selbst laufen lässt, erlebt brutalste Verfolgung in doppelter Form: Auch das alte Alter Ego verliert zeitgleich die Finger und Beine, die seinem jungen Ich in Folter genommen werden.

Als Joe sein älteres Ich (Bruce Willis, seit „12 Monkeys" Spezialist für diese Zeitreisen) entkommt, geht es allerdings mehr als ums Überleben: Ein Herrscher namens Rainmaker begeht in der Zukunft grausam Massenmorde. Joe 2 kommt mit dem Plan zurück, den späteren Tyrannen schon als Kind umzubringen. Es gibt aber gleich drei Jungen, die in Frage kommen. Der junge Joe hilft dabei keineswegs mit, sondern will „seine" 30 Jahre noch genießen und dafür auch sich selbst opfern. Die Flucht vor Abes Häschern bringt Joe 1 zu der Farm einer alleinerziehenden Mutter Sara (Emily Blunt aus „Lachsfischen im Jemen" und „Der Plan"), die ein außergewöhnliches Kind mit kinetischen Fähigkeiten beschützt...

Regisseur und Autor Rian Johnson, der nach den bemerkenswerten „Brothers Bloom" (2008) und „Brick" (2005) einige TV-Serien inszenierte, gelingt es hervorragend, die komplexe Geschichte spannend zu erzählen und irritiert dabei nur mit Absicht der Reizerhöhung mal kurz. Joseph Gordon-Levitt, der sich sehr vielfältig mal als rasender Radler in „Premium Rush", mal als Todkranker in „50/50" oder auch als Traumreisen-Assistent in „Inception" verwandelt, glänzt als kommender Superstar auch in der Rolle des ambivalenten Helden Joe. Doch bei aller Spannung, bei dem reizvoll zurückhaltenden Zukunfts-Design („Die Filme nach denen du dich kleidest, sind nur Kopien anderer Filme"), der außergewöhnlich originellen Geschichte beeindruckt vor allem der reibungslose Mix der Genres. Während die meisten Filme ihre dünne Grundausstattung nur mit Steigerung der Action zukleistern können, gewinnt „Looper" in zunehmender Ruhe eine Konzentration auf ernsthafte Grundfragen: Kann man Hitler verhindern, wenn man in Braunau Brunnen vergiftet, wie Stephen Fry es beispielsweise in seinem Roman „Geschichte machen" dreimal erfolglos durchspielt? Die Lösung ist für einen Action-Film ungewöhnlich ganzheitlich und wunderbar einfachalltagstauglich: Im auch gedanklich furiosen Finale wird der Kreis (der Gewalt) durchbrochen, indem man Tyrannen frühzeitig wegkuschelt. Dass „Looper" deswegen längst kein Herdprämien-Film und eigentlich unbeschreiblich gut ist, muss man einfach selbst erleben.

Abraham Lincoln Vampirjäger

USA, 2012 (Abraham Lincoln: Vampire Hunter) Regie: Timur Bekmambetov mit Benjamin Walker, Dominic Cooper, Anthony Mackie, Mary Elizabeth Winstead, Rufus Sewell 105 Min. FSK ab 16

Sie meinen, George W. Bush war ein verzogener Sohnemann, Helmut Kohl ein nuschelnder Aussitzer und Abraham Lincoln ein amerikanischer Bürgerrechts-Präsident? Zumindest für den letzteren ist es an der Zeit, die Geschichtsbücher umzuschreiben. Und so wie es der berüchtigte russische „Wächter"-Regisseur und -Produzent Timur Bekmambetov tut, wird bald jeder wissen, dass die Präsidentschaft für den alten Abe nur ein Nebenjob war. Eigentlich war er Tag und vor allem Nachts als Vampirjäger unterwegs, schwang sein versilbertes Beil in kunstvollen Pirouetten durch so manchen Beißerhals. Erst eine Umschulung mit Jura im Aufbaustudium machte ihn zum Befreier der afroamerikanischen Sklaven. Als dann jedoch der Bürgerkrieg unter seiner Führung schon fast verloren schien, weil bei den gegnerischen Südstaaten nicht nur Dorftrottel, Konservative und Rassisten sondern auch Vampire mitkämpften, erinnerte sich Präsident Lincoln an seine alten Fähigkeiten, stopfte reichlich Tafelsilber in die Kanonen und Gewehre und machte den blutsaugenden Sklaventreibern den Garaus.

Diese fantastische Geschichte stammt aus einem Roman von Seth Grahame-Smith und basiert darauf, dass man tatsächlich wenig von Lincolns Jugend und seiner Zeit in einem Krämerladen weiß. Bekmambetov fügt in seiner zweiten US-Produktion nach „Wanted" (2008) seine bekannten Martial-Arts-Sequenzen hinzu, dazu netten Steam-Punk. Allerdings wird Hauptdarsteller Benjamin Walker erdrückt von stärkeren Nebendarstellern (vor allem Rufus Sewell als Ur-Vampir Adam) und von den selbstverliebt immer wieder eingesetzten beilschwingenden Pirouetten. So wirkt die vor allem im zugigen Finale eindrucksvolle Action zu sehr als Selbstzweck. Außerdem stören ein paar holperige Rückblenden und ein zu großer Karriere-Sprung der Hauptfigur.

Immerhin lernen wir: Sklaverei ist Vampirismus. Und wenn am Ende eine Fortsetzung in der Jetztzeit angedeutet wird, überlegt man sich, was hinter unseren Politikern so an mythischem Vorleben steckt: Helmut Kohl war eindeutig ein Yeti, Georg Bush jr. ein Zombie und Merkel eine sozialistische Pfarrerstochter aus dem Osten.