„Du bist, was du isst" wäre der Kalauer als Auftakt zur mexikanischen Kannibalen-Kinokunst „Wir sind was wir sind". „Wir sind Monster" lautet die realistische Zustandsbeschreibung einer der Figuren. Regisseur Jorge Michel Grau gelang mit seinem faszinierenden Debütfilm eine Mischung aus Sozialdrama, Thriller und Horror.
Im harten Realismus der erschreckenden Anfangssequenz stirbt ein alter Mann in einer glänzenden Einkaufspassage. Dieser Tod stößt zwei Entwicklungen an, die erst im Finale zusammen kommen werden. Bei der Obduktion findet die Polizei einen Finger im Magen der Leiche. Derweil ist seine Familie verzweifelt. Sie hat kein Geld und nichts zu essen. Beides besorgte das verstorbene Familienoberhaupt, letzteres allerdings in Form von Menschenfleisch. So vermengt sich die soziale Situation der Familie, der harte Kampf um das tägliche Brot, mit dem um das tägliche Fleisch. Die beiden Söhne scheitern beim „Jagen" am Versuch, ein Straßenkind zu entführen. Auch eine Prostituierte „mit nach Hause bringen", wie es der Vater immer tat, funktioniert nicht. Die Mutter verweist auf das Ritual, die resolute Schwester meint, Alfredo müsse die Leitung übernehmen, während der jähzornige junge Bruder Julian erst einmal zuschlägt. So verliert die Familie auch noch ihren Marktstand als Uhrenhändler.
„Wir sind was wir sind" ist „ab18" freigegeben und zeigt die Problematik dieser eindimensionalen Einteilung: Im Gegensatz zu verabscheuungswürdigen, sadistischen (Erfolgs-) Spektakeln wie „Saw" oder auf die pure Schlachtlust reduzierte Horror-Remakes, erweist sich der in vielfacher Hinsicht spanende, gleichzeitig irritierende und fesselnde Film aus Mexiko doch als einer der politischsten und cineastisch reizvollsten Filme dieser Tage. Er weidet sich nicht an blutigen Gewalttaten und wirkt mit unvermittelten Fahrten hinein ins Schwarz oder schaurigen Streicher-Einsätzen um so schrecklicher. Die tollen Bilder zeigen immer wieder Spiegelmotive, im Moment des Todes des Vaters und später in einem gefleckten Spiegel die Unsicherheit über die Zukunft und die Diskussion über die Nachfolge als Familienoberhaupt. So legt die Reflexion ganz nebenbei Schatten auf die Gesichter, die andere Filme mit aufwändigen Masken deformieren würden.
Erstaunlicherweise nimmt man Anteil am Schicksal dieser horrenden Familie. „Wir sind was wir sind" passt damit in die Reihe exzellenter Filme aus Mexiko, wie „Battle in Heaven" von Carlos Reygadas oder „Amores Perros" und die anderen Filme von Alejandro González Iñárritu. Die parallele Recherche der Polizisten ist eine politische Anklage und damit verwandt mit Romeros frühen Zombie-Klassikern. Wenn die Jagd auf die Jäger im vollen Gange ist, läuten alle Uhren im Hause des Uhrmachers das letzte Stündchen der Familie ein - nur eine der vielen genialen Szenen, bis zum Finale, in dem eine Überlebende die Zuschauer mit hungrigem Blick fixiert.