12.2.10

Berlinale Jury und Eröffnungsfilm TUAN YUAN

Tiefe Gedanken statt großen Glamours

Jury-Vorstellungen bei großen Pressekonferenzen gehen oft im Blitzlichtgewitter unter. Bei der 60. Berlinale und dieser Jury unter Werner Herzog blieben die Kameras ungewöhnlich still und die Ehr-Bekundungen erstaunlich fachkundig. „Gute Filme sind eine Frage von Wahrheit, die von ganz unten irgendwo durchschimmert.“ Sätze wie dieser von Herzog sind wie gemacht für das Poesie-Album der ehrlichen, unverdorbenen Filmemacher. So gab es selbstverständlich keine Antwort auf die üblichen Fragen, aber eine Beruhigung für die Jury-Arbeit: „Es gibt keine klaren Kriterien für gute Filme, aber wenn ein ganz großer Film hier laufen wird, werden wir ihn erkennen.“ Da brauchte man sich dann auch keine Sorgen mehr um US-Schauspielerin Rene Zellwegger zu machen, die zerknautscht eingeflogen wurde und eher konfus antwortete. Aber etwas mit Herz war auch bei ihr dabei.

Zwar erinnert die Idee, den sehr eigensinnigen und im Streit mit Kinski fast mörderischen Werner Herzog zum Jury-Vorsitzenden zu machen, an die Geschichte vom Bock als Gärtner, doch noch wirkte die Stimmung harmonisch. Herzog wurde bereits vor 42 Jahren für „Lebenszeichen“ mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet. Er hatte damals in Neukölln spontan ein Kino gemietet und damit anarchisch das Festival nach außen geöffnet. Insgesamt hatte er drei Filme im Festival und meint zum aktuellen Erfolg von „Bad Lieutenant“ „die Filmindustrie bewegt sich langsam in meine Richtung“.

Die Schauspielerin und Sängerin „Conny“ Froboess kann sich nicht mehr wirklich erinnern, wann sie das erste Mal bei der Berlinale war, aber auch sie „merkt es am Herzschlag, ob sie ein Film bewegt“. Die Berlinerin findet es wahnsinnig schön, dass sich hier so viele Menschen für die Filme begeistern und dass man keine Zäune braucht wie beim Fußball.

Zum Schluss der Pressekonferenz wurde Herzog noch einmal fast esoterisch: „Die Essenz wird über mysteriöse Wege zu uns kommen, egal ob das Gedicht in Stein gehauen ist, ein Gemälde zu uns spricht oder uns etwas über das Internet erreicht.“ Die Frage nach den digitalen Techniken sollte einen alten Anhänger des echten Films aufs Glatteis führen, doch Herzog zeigte sich erstaunlich offen und auf der Höhe der Zeit: „Digitale Effekte erlauben uns, alles, was sich erträumen lässt, auf die Leinwand zu bringen.
Wir haben allerdings noch kein richtiges Verhältnis zu diesen Effekten entwickelt.“ Bei „Avatar“ liebte er die kleinen Sachen, die Quallen und die kleine Blumen, die auf der Haut landen. Man darf also sehr gespannt sein, auf das Urteil dieser Jury.

Als erste Film in Konkurrenz erzählt „Tuan Yuan“ (Zusammen - Getrennt) eine melancholische Geschichte von schwieriger Wiedervereinigung einer gesamt-chinesischen Liebe. Mehr als 50 Jahre nach der Errichtung der Volksrepublik China auf dem chinesischen Festland und der Gründung der Inselrepublik Taiwan wird die erste Reise einer Besuchergruppe von ehemaligen Soldaten der Volkspartei Kuomintang aus Taiwan zur Zusammenführung mit Familienangehörigen in Schanghai zugelassen. Der alte Soldat Liu Yansheng will in seiner Heimatstadt Schanghai die wahre und einzige Liebe seines Lebens Qiao Yu’e wiederfinden, die er bei der Flucht über 50 Jahre zuvor zurücklassen musste. Sie hat mittlerweile eine Familie mit einem Unteroffizier der Kommunistischen Truppen gegründet.
Es ist rührend süß, wie die alten Liebenden sich immer näher kommen und Händchenhalten. Zuerst überbieten sich die beiden Männer in Großmut, als Liu Yu’e mit nach Taiwan nehmen will. Nur die Familie beschwert sich. Doch dann erleidet der liebe und brave Ersatzehemann einen Schlaganfall.
Diese chinesische „Wolke 9“ ohne Sex könnte sehr dramatisch sein. Regisseur Wang Quan'an, der mit „Tuyas Hochzeit“ 2006 den Goldenen Bären gewann, vergisst aber auch den Humor nicht. Etwa wenn das Ehepaar erst noch einmal heiraten muss, um sich scheiden zu lassen. Mit Blicken auf die drastische Entwicklung der Boom-Town Shanghai und auf die Enkelin, der ein ähnliches Schicksal droht, weil ihr Freund nach Amerika will, spielt der Film sehr offen im China von heute. Ein China, das nicht glücklich macht, wenn am Ende eine Kern-Familie in einer zu großen, modernen Wohnung alleine bleibt.