Frankreich, Belgien 2019 (Trois jours et une vie) Regie: Nicolas Boukhrief, mit Sandrine Bonnaire, Charles Berling, Pablo Pauly,
Jérémy Senez 120 Min. FSK ab 12
Olly, ein kleines Dorf in den Ardennen, beherbergt eine unglaublich abgründige Geschichte. Geschrieben hat Vorlage und Drehbuch zum spannend und psychologisch fein inszenierten Film der französische Autor Pierre Lemaitre („Wir sehen uns dort oben").
Der zwölfjährige Antoine erlebt eine eher ungewöhnliche Kindheit: Zwar ist das Schwärmen für die nette Nachbarstochter Emilie Desmedt alterstypisch, doch als die mit dem typischen älteren Idioten auf dem Mofa knutscht, ereignet sich drei Tage vor Weihnachten eine menschliche Katastrophe: Erst verjagt Antoine den lieben Hund der Desmedts genau vor die Räder eines im Dorf rasenden Autos, worauf der grimmige Sonderling Michel Desmedt (Charles Berling) den leidenden Vierbeiner mit dem Gewehr erlöst. Später trifft der eigentlich nette und freundliche Junge den anhänglichen kleinen Freund, Remi Desmedt, im Wald unglücklich mit einem Ast am Kopf. Die hastig verbuddelte Leiche bleibt verborgen, weil ausgerechnet in der folgenden Nacht ein Jahrhundertsturm die ganze Gegend verwüstet. Fünfzehn Jahre später kehrt Antoine nach seinem Medizinstudium an den Weihnachtstagen wieder zu seiner einsamen Mutter nach Olly zurück.
Die ereignisreichen „drei Tage" des Titels mit dem Verschwinden des kleinen Remi (nur wenige Jahre nach den Verbrechen des wallonischen Sexualstraftäters Marc Dutroux), mit Suchaktionen und nächtlichem Versteckspiel dauern nur die erste Hälfte des Films an. Die zweite, das Leben danach mit Trauer und Schuld, erzählt grandios mit der fiesen Tragik russischer Romane, mit einem raffinierten und heimtückischen Plot sowie spannenden Figuren. Papa Desmedt ist vom Unruhestifter zum Alkoholiker geworden. Die schöne Tochter Emilie hat immer noch was übrig für Antoine und auch der Hauptverdächtige von damals, ein polnischer Metzger, trägt ein Geheimnis mit sich rum.
Witzigerweise sehen in Olly alle ein wenig wie Serientäter aus, doch tatsächlich sind die interessanten Figuren alle sehr tief und meist tragisch gezeichnet. Schauspielerisch hätte man bei Pablo Pauly, dem erwachsenen Darsteller des Antoine, noch etwas mehr herausholen können. Er wirkt etwas zu lieb und brav, unberührt von einem schweren Geheimnis. Sandrine Bonnaire gelingt auch die Routine der Mutter gut. Mehr als ein Ardennen-Krimi ist „Drei Tage und ein Leben" eine sehr bewegte und bewegende Studie menschlichen Verhaltens. Was macht ein tragisches Ereignis aus einer kleinen Dorfgemeinschaft und aus einem Menschen. Mit der stoischen Haltung des alten, wissenden Dorfarztes: „Ich verurteile dich nicht, verurteile du mich auch nicht. In dieser Geschichte handelt jeder so wie er kann."
Regisseur Nicolas Boukhrief hat die exzellente Vorlage Pierre Lemaitres eindrucksvoll sicher und gekonnt umgesetzt. Ohne große Effekte, wenn man den apokalyptischen Hollywood-Sturm weglässt, aber ansonsten in jeder Szene stimmig. Egal ob intensives Kammerspieles oder große Menschengruppen. Das Ergebnis ist eine ziemlich gemeine Tragik, in der ein Lebenstraum zu einer billigen Teller-Bemalung wird.