BRD 2020 Regie: Oskar Roehler, mit Oliver Masucci, Hary Prinz, Katja Riemann, Eva Mattes 134 Min. FSK ab 16
Regisseurs Oskar Roehler („Elementarteilchen", „Die Unberührbare") ist selbst ein „Enfant Terrible" des deutschen Films: Unbequem, aber erfolgreich und innovativ. Immer mal wieder wurde er als „der neue Fassbinder" gehandelt. Dass er nun einen Film über die Legende Rainer Werner Fassbinder (1945-1982) macht, war zu erwarten. Allerdings kümmert sich „Enfant terrible" weniger um die Karriere, als um den Mensch und das Monster Fassbinder.
Die Geschichte von Fassbinder beginnt auf der Bühne: Als brutaler Typ in Lederjacke und Cowboystiefeln (Oliver Masucci) übernimmt er mit provokanten Ideen rabiat die Regie. Der Hauptdarsteller Kurt Raab (Hary Prinz) wird zusammengestaucht, aber er hat „eine Filmfresse" und Faßbender sammelt schon seine zukünftigen Stars. Die er gleichzeitig emotional abhängig macht: Liebhaber und auch mal Geliebte bekommen Rollen und Aufgaben, kurz Aufmerksamkeit, danach dürfen sie im Dunstkreis ein äußerst kreativen und perversen Fassbinder-Familie darben. Ein Spiel mit Gefühlen, das für einige tödlich enden wird.
Hinter poppigen Titel und poppigen Farben zeigt Roehler Szenen aus Fassbinders Leben kongenial radikal und sinnlich: Gemalte Straßenszenen, auch die Räume sind nur Kulisse. Was man schnell vergisst, so intensiv ist das Spiel, so faszinierend ist diese Figuren. Mit einem animalischen Riesenego hetzt er rücksichtslos durch seine Karriere, geht wortwörtlich über Leichen. Immer wieder werden Filme und Bühnenstücke erwähnt, Finanzierungsprobleme oder Erfolg bis in Cannes, aber es geht in „Enfant Terrible" nicht um Interpretationen, nur um die Menschen. Vor allem um ein manipulatives Schwein, der immer wieder die Leute erniedrigt, die im verfallen sind. Allen Mitarbeitern gab er wechselnde Frauennamen. Den unverschämterweise verheirateten Günter Kaufmann ließ er hinter einem Motorrad her schleifen. Für den neuen Liebhaber El Hedi ben Salem („Angst essen Seele auf") entführt er in Algerien zwei seiner Söhne – alle werden ihm bald lästig. Gleichzeitig ist der Mann in Lederjacke ein Sensibelchen, das unter einigen der Liebes-Beziehungen sehr leidet.
Historisch nett ist „Enfant Terrible" als „Schlüsselroman" mit vielen Bekannten, doch Roehler bietet hier keine neuen Enthüllungen. Das Funktionieren des „Clans" um Fassbinder ist dagegen fühl- und erlebbar. In die Kunstwelt dieser Inszenierung kommen von außen nur ab und zu Nachrichten über terroristische Anschläge rein. Es ist das Bild eines monomanischen Film-Monsters, dass mit zunehmenden Drogen- und Tablettensüchten noch unberechenbarer wird. Spät gibt es eine Abrechnung, etwas Reue anstelle des Selbstmitleids auch.
Die enorme Präsenz dieses Riegenegos erzeugt für Roehler der Schauspieler Oliver Masucci auf faszinierende Weise. Schon der Trailer zeigt dies mit einer grandiosen Tanz-Szene zum Hit der neuen deutschen Welle „Der goldene Reiter". So entsteht ein stark gefühltes Porträt eines Regisseurs und eines schwierigen Menschen. Dass „Enfant Terrible" umstritten sein wird, ist klar. Wegen historischer Details, verzerrenden Darstellungen von Zeitzeugen und Fassbinders politisch so was von unkorrekten Äußerungen. Doch auch darin liegt das Kongeniale dieser wunderbaren Würdigung.