Russland, Weißrussland, BRD 2019 Regie: Vadim Perelman, mit Nahuel Pérez Biscayart, Lars Eidinger, Jonas Nay 127 Min. FSK ab 12
In der Tradition von „Das Leben ist schön" und „Jakob der Lügner" zwingt das KZ-Drama „Persischstunden" einen belgischen Juden, sein eigenes „Persisch" zu erfinden und zu unterrichten. Nur diese Lüge kann ihm das Leben retten. Das historische Drama mit Nahuel Pérez Biscayart und Lars Eidinger in den Hauptrollen bewegt mit einer poetischen Idee und dosierten Schrecken deutscher Geschichte.
Der junge jüdische Belgier Gilles (Nahuel Pérez Biscayart) wirkt etwas naiv, als er 1942 im übervollen Gefangenen-Transport sein Brot gegen ein Buch mit seltsamen Schriftzeichen tauscht. Doch wie in bitteren Märchen wird dieses seine Rettung, als die Deutschen alle Juden in einem Wald grausam und regungslos erschießen: Der scheinbar sinnlose Ruf „Ich bin Perser!" lässt die Todes-Schergen einhalten. Denn der Koch des nahen Konzentrationslagers sucht einen Iraner, weil er davon träumt, in Teheran ein Restaurant zu eröffnen. So wird Gilles nach drängenden Fragen und unter Todesangst zum Lieblings-Gefangen des SS-Hauptsturmführers Koch (Lars Eidinger). Er soll diesen in einer Sprache unterrichten, von der er kein einziges Wort kennt!
Diese aberwitzige Situation ist auf eigene Weise spannend, weil man sich kaum vorstellen kann, dass jemand allein in seinem Kopf eine neue Sprache entwickelt und sich den wachsenden Wortschatz tatsächlich merkt. Zudem kann Gilles, der tagsüber noch in der Küche arbeiten muss, keinen Stift benutzen. Zum Glück wird er auch als Schreibkraft für die Lagerlisten eingeteilt und kann sich so heimlich ein chiffriertes Wörterbuch erstellen.
Vorlage des Films ist die Erzählung „Erfindung einer Sprache" des renommierten Drehbuchautoren Wolfgang Kohlhaase. Darin ist der Gefangene ein niederländischer Student. Neben Anklängen an Roberto Benignis „Das Leben ist schön" erinnert die Geschichte auch an den alten DEFA-Film „Jakob der Lügner" nach dem gleichnamigen Roman von Jurek Becker (Regie Frank Beyer). Zwei humanistische Kino-Traditionen, die im Kern fortgeführt werden, denn Gilles' Lösung zum Memorieren der erfundenen Worte ist raffiniert und berührt eine Essenz jüdischen Gedenkens: Er nutzt die Namen der Gefangenen und Ermordeten, um daraus persisch klingende Worte zu bilden. So ist die Sprache, die der herzlose Offizier Koch so liebt, eine Erinnerung an die Menschen, die auch er umgebracht hat.
Regisseur Vadim Perelman („Haus aus Sand und Nebel", „Das Leben vor meinen Augen") baut auf schaurig gutes Schauspiel von Lars Eidinger, wenn dieser mit fast wahnsinnigem Blick sagt: „Wie du bereits gemerkt hast, bin ich ein gutmütiger Mensch." Völlig von eigener Güte überzeugt, gibt er Gilles andere Kleidung – „Ich hab im Lager etwas zugenommen, aber dir sollten sie passen." Dieser eklige, herrische Kommandant entgleitet zwar auch mal in Richtung Hitler-Imitation, ist aber durchgehend gelungen. Die Darstellung des Transport-Lagers ist architektonisch eine sorgfältige und glaubhafte Mischung verschiedener realer Lager. Eindimensional sind hingegen alle anderen deutschen Figuren, alles Sadisten und Intriganten, dazu ordinär und banal. Während die andern um ihr Überleben kämpfen, beschäftigen sich die Soldaten und Lagerhelferinnen mit banalen Eifersüchteleien, rachsüchtigem Klatsch und Penisgrößen. Auch wenn „Persischstunden" nicht immer ausgewogen und gelungen ist, in der erschütternden Schlussszene verfehlte er seine Wirkung nicht.