Großbritannien, Frankreich 2020 (Misbehaviour) Regie: Philippa Lowthorpe, mit Gugu Mbatha-Raw, Keira Knightley, Greg Kinnear, Lesley Manville 107 Min. FSK ab 0
1970 steht in London wieder die Wahl zur „Miss World" an. Eine abgeschmackte, schäbige Fleischbeschau, deren Organisator Eric Morley (Rhys Ifans) Glamour verkaufen will, aber hinter den Kulissen um sein Unternehmen bangt. Gleichzeitig trifft die exzellente Historikerin Sally Alexander (Keira Knightley) zufällig auf die rebellische Jo Robinson (Jessie Buckley) und deren Frauengruppe. Da die unverheiratete Mutter Sally von der Ignoranz gegenüber Frauen im wissenschaftlichen Betrieb und im Alltag frustriert ist, geht sie zu einem der Treffen. Obwohl sie von den Frauen mit Hippie-Einschlag als bourgeois angesehen wird, macht Sally bei einer Aktion gegen die „Miss World"-Show mit. Beim Protest des „Women's Liberation Movement" gegen die Veranstaltung, die live für 100 Millionen Zuschauer weltweit übertragen wird, kommt es zu einer bewegenden Begegnung mit einer der Kandidatinnen.
Der Protest gegen die „Miss World"-Show von 1970 sind historisch verbürgt. Solch widerwärtigen Veranstaltungen stellen heutzutage nur noch Vorlagen für Spot und Karikatur dar. Siehe „Miss Undercover" mit Sandra Bullock. „Die Misswahl" von Regisseurin Philippa Lowthorpe („Call the Midwife – Ruf des Lebens") hingegen begeistert mit einem überraschenden Ansatz: Die Parallelhandlung um die Außenseiterkandidatin „Miss Grenada" Jennifer Hosten (Gugu Mbatha-Raw) verspottet zwar den Organisator Eric Morley und stellt den berühmten Moderator Bob Hope (Greg Kinnear) als ekelhaften Sexisten bloß. Doch die Teilnehmerinnen selbst werden mit ihren Hoffnungen und Ängsten während der entwürdigenden Dressuren und des Beglotzen ihrer Hintern sehr ernst genommen. Ebenso genau gezeichnet sind die Sorgen Sallys, die sieht wie ihre kleine Tochter schon Schönheitskönigin spielt und sich vorbereitet, einem verzerrten Schönheitsideal des Patriarchats nachzueifern. Das Treffen der beiden Hauptdarstellerinnen macht dann auch im Dialog deutlich, was heute mit „Intersektionalität" bezeichnet wird: Verschiedene Formen von Unterdrückung überschneiden sich und so ist die Misswahl für die emanzipierte weiße Frau aus dem Mittelstand ein Zeichen für Seximus. Für die dunkelhäutige Stewardess aus einer ehemaligen Kolonie dagegen eine Chance zum Aufstieg aus der Benachteiligung.
Diese unterschiedlichen Perspektiven durchziehen den ganzen Film und heben ihn von anderen Emanzipations-Dramen hervor. Der Konflikt zwischen Idealen und nahen Menschen, die anders denken und leben, ist ein schwieriger. Das zeigt „Die Misswahl" an vielen Beispielen, wobei es Regisseurin Philippa Lowthorpe und Drehbuchautorin Rebecca Frayn („The Lady") eher um Genauigkeit als um möglichst große Gefühle geht. So ist der große Eindruck dieses außergewöhnlich guten Films umso nachhaltiger.