28.8.13

An ihrer Stelle

Israel 2012 (Fill the void / Lemale et ha'halal) Regie: Rama Burshtein, mit Hadas Yaron, Yiftach Klein, Irit Sheleg, Razia Israely, Hila Feldman, 90 Min. FSK: ab 6

Ein spannender Einblick in eine orthodoxe, ja extremistische Glaubensgemeinschaft, in eine heutige Parallelgesellschaft. Der Film von Rama Burshtein spielt unter chassidischen Juden in Tel Aviv. Er zeigt ihre Riten, etwa die Purim-Feier mit Geld-Gaben an Bedürftige, bei der die Frauen aus dem Nebenraum zuschauen dürfen. Genau wie bei der Beschneidung eines Neugeborenen. Doch da ist das Unglück schon geschehen, die Mutter des Babys starb bei der Geburt. Nun denken andere für den Witwer Yochay über dessen Zukunft und eine baldige neue Heirat nach. Das Drama spielt sich unter der Voraussetzung arrangierter Ehen ab. Die Beschau eines möglichen Partners geschieht kompliziert im Supermarkt mit dem Hinweis „Er steht bei den Molkerei-Produkten". Dieses überkommene Konzept wird im Film nicht in Frage gestellt. Die einzige Wahl für die Schwiegermutter Rivka: Gehen Yochay und Enkel zu einer Witwe mit zwei Kindern nach Belgien oder heiratete er die 18-jährige Schwägerin Shira, die eigentlich etwas anderes mit ihrem Leben vorhatte? Shira war bislang zwar ungeduldig, aber machte gerne die umständliche Eheanbahnung mit Hilfe von Rabbi, Heiratsvermittler und Eltern mit.

Weil die Schwiegermutter das Baby und den Schwiegersohn nicht aus dem Haus lassen will, soll die junge Tochter den Schwager heiraten. Aber auch, weil die Familie des eigentlich ausgeschauten Verlobten Shira nicht will. Unverheiratete Frauen sind selten und werden in dieser Gemeinschaft ausgegrenzt. So zwingt man die Schülerin in einen Gewissenskonflikt mit begrenztem Entscheidungs-Spielraum. Die Musikerin verfällt nun bei einem Fest schon mal zum Entsetzen aller Gäste in Moll, das offene Haar wird unter einem Kopftuch versteckt.

„An ihrer Stelle" gewährt einen erschreckenden, in der Intensität von Inszenierung und Spiel faszinierenden Einblick, in dem die Gefühlswirren bei Shira und Yochay glaubhaft und bewegend für Anteilnahme sorgen. Der Film wirkt allerdings fast sanft und verharmlosend im Vergleich zu Amos Gitais schockierendem „Kadosh" aus dem Jahre 1999. Die Regisseurin Rama Burshtein entstammt selbst diesem ultraorthodoxen Milieu und präsentiert konsequent eine Binnensicht. Wenig ist vom Außen und von Tel Aviv zu sehen. In dunklen Räumen sitzen die Frauen oft zentral auf einer Bank, als erwarten sie ein Urteil. Eine Verurteilung dieser Frauen- und Gefühls-feindlichen Lebensweise oder ein Aufbegehren gegen sie findet nicht statt. Das bleibt Aufgabe des Zuschauers. Immerhin sieht sich Burshtein in der Tradition von Jane Austen, die ihre Frauen in der reglementierten Gesellschaft Englands vergangener Jahrhunderte leiden ließ. Deren ironischer Witz blitzt hier allerdings nur kurz einmal auf, als eine alte, einsame Frau dringend zum Rabbi kommt, weil niemand anders ihr sagen kann, welchen Herd sie kaufen soll.