1.7.13

Fliegende Liebende

Spanien 2013 (Los amantes pasajeros) Regie: Pedro Almodóvar, mit Antonio de la Torre, Hugo Silva, Miguel Ángel Silvestre, Laya Martí, Javier Cámara, 87 Min., FSK: ab 16

Der Spanier Pedro Almodovar ist einer der bedeutendsten Regisseure unserer Zeit, er verbindet in Meisterwerken wie „Alles über meine Mutter" überzogene gestylte Melodramen mit tiefen Einblicken in die menschliche Seele. In seinem 19. Spielfilm kehrt er formal zurück zu seinen wilden Wurzeln eines schrillen und provokanten An-Filmens gegen die von Faschismus erstarrte spanische Gesellschaft. Das „abgehobene" Kammerspiel „Fliegende Liebende" schafft die humoristische Notlandung so gerade, mixt wild schwule mit Hetero-Beziehungen und macht aus der Fluggesellschaft „Peninsula" einen Mikrokosmos spanischer (Wirtschafts-) Geschichten.

Die von Almodovar entdeckten internationalen Stars Penelope Cruz und Antonio Banderas bleiben zwar mit ihrem Kurzauftritt am Boden, doch die Leibes-Frucht ihrer Liebe wird den Pensinsula-Flug von Madrid nach Mexiko nachhaltig beeinträchtigen: Mit defektem Fahrwerk kreist die Maschine ziellos über Spanien, weiß nicht wie und wo sie landen sollen. Keinen kümmert die drohende Katastrophe. Die Stewardessen schlafen wie die ganze Economy- (oder Mittel-) Klasse - gegen das Economy-Syndrom stellte man sie einfach mit Drogen ruhig, ganz wie im „futuristischen Kongress" von Stanislav Lem. Die erste (Gesellschafts-) Klasse hingegen ist quicklebendig und voller Dramen: Der Banker Señor Mas flieht vor noch einem Betrugs-Skandal wie der Schauspieler Ricardo Galan (Guillermo Toledo) vor noch einer chaotischen Affäre. Die alte Domina Norma (Cecilia Roth) zickt herrlich melodramatisch herum, der schwarz gekleidete Mexikaner Infante (José María Yazpik) wirkt sehr geheimnisvoll und ein Medium ahnt alles. Das ist jedoch nichts gegen die männliche Crew, die sich gegenseitig „Mädels" nennen: Der verheiratete Flugkapitän und Familienvater Alex Acero hat ein Verhältnis mit dem Chef-Steward. Der legt zusammen mit seinen Kollegen wegen dem defekten Inflight-Entertainement nur zu gerne eine luftige Travestie-Show hin. Als die Not am größten ist, mixen der Dicke, der Macho und die Tunte in Ermangelung anderer Drogen („nur Koks, Heroin und Trips") ein paar anrüchige Mescalinas in den Retro-Cocktail „Acqua de Valencia". Der Katastrophenflug wird daraufhin zur befreienden Orgie, bei der dann endlich auch der Co-Pilot sein schwules Coming Out hat.

Viele große Regisseure entdecken bei einfacheren Produktionen mit weniger Mitteln alte Freiheiten wieder. „Fliegende Liebende" lässt einen alten Almodovar erahnen, ohne dass der unbändige Spaß seiner frühen Filme wieder auflebt. Das dankbare Genre der Sicherheitsanweisungs-Choreografie bringt noch dezenten Humor. Tuntige Stewards, die eifrig trinken und beten, wecken Hoffnung auf einen komischen „Flight". Doch irgendwie hat auch der Autopilot zu viele Drogen abbekommen - orientierungslos kurvt die Komödie im einförmigen Weiß der Wolken herum. Telefongespräche mit dem Boden noch dem Motto „Madrid, wir haben nicht nur ein Problem" machen zwei leicht rührende Beziehungskisten auf, die allerdings im allgemeinen Schaubad aus Klamauk, Zoten und angedeuteter Gesellschaftskritik untergehen. Wie nahe der Aufprall die harte Realität streift, zeigt der Ort der Bruchlandung: Der Flughafen La Mancha klingt etwas nach den Verrücktheiten eines Don Quixote und war tatsächlich, 2008 als erster privater Großflughafen Spaniens gebaut, bald eine der größten Investitionsruinen des Landes. Wenn Almodovar etwa bei der sehr schönen Notlandung, die auf dem menschenleeren Finanzkatastropen-Flughafen rein akustisch und im Off stattfindet, sein Können aufblitzen lässt, ist „Fliegende Liebende" nicht mehr aber auch nicht weniger als ein netter Rundflug unter der Anleitung einiger tuntiger Plaudertaschen.