Österreich, BRD 2012 Regie: Ulrich Seidl mit Margarethe Tiesel, Peter Kazungu, Inge Maux 121 Min.
Frustrierender Liebes-Kauf
Eines sind sie auf keinen Fall, die Filme vom Österreicher Ulrich Seidl: Schön. Ob die mal dokumentarisch anmutenden Demaskierungen des Menschlichen radikal ehrlich oder im Verdränger-Urteil „total krank" sind, kann jeder selbst entscheiden, der sich dieser spannenden Auseinandersetzung stellt. Immerhin ist Seidl nach irritierenden und provokanten Schein-Dokumentationen wie „Import Export" (2007), „Jesus, Du weißt" (2003) oder „Tierische Liebe" (1995) auf der ganz großen internationalen Festivalbühne anerkannt. Mit seiner „Paradies"-Trilogie macht er einen filmischen Grand Slam um drei Frauen aus einer Familie: „Paradies: Liebe" um die liebes-süchtige Teresa feierte im Wettbewerb der 65. Filmfestspiele von Cannes seine Premiere. „Paradies: Glaube" mit Teresas Schwester im Religions-Wahn lief im Herbst in Venedig und die Berlinale wird den Abschluss „Paradies: Hoffnung" um Teresas übergewichtige Tochter zeigen.
Die "Liebe" suchen in Kenia vier frustrierte, einsame Frauen bei jungen, schwarzen Männern, die mit fadenscheinigen Geschichten Geld für ein Liebes-Spiel und Sex erhalten. Unter den sogenannten Sugarmamas ist auch Teresa, Mitte 50, alleinerziehende Mutter. In Afrika am Strand wird sie von den Beachboys wieder begehrt und glaubt es in einer unendlichen - oder unendlich verzweifelten - Naivität auch noch. Ihr Desinfektions-Spray muss zwar Überstunden machen, aber dass die immer mehr geforderten Geldgaben etwas mit der Aufmerksamkeit zu tun haben, verdrängt Teresa. Bis zur schrecklichen Abhängigkeit, bei der sie ihre letzte Würde verliert.
Das ist in den gemeinsten Momenten eine verspätete Huldigung an Gerhard Polt, wenn die Damen ihre Erfahrungen austauschen: „Die Neger sehen alle gleich aus, aber an der Größe kannst du sie unterscheiden." Die sexuelle Implikation dieses demaskierten Rassismus ist volle Absicht und auch im Bild wird der Film derart deutlich. Nachdem sich das erschreckte Lachen abgenutzt hat, überlegt man bei der „Liebe", wer hier mehr bloßgestellt wird. Eine Frage, die Seidl immer provoziert.
Mit der Theater- und TV-Darstellerin Margarethe Tiesel geht der Regisseur in diese Abgründe von Einsamkeit, Kolonialismus und umgekehrten Sexismus. Die an Originalschauplätzen mit Schauspielern und Laien ohne vorgegebenen Text improvisierten Szenen mit streng kadrierten Personenbildern sind vereinzelt sehr stark in ihrer Mischung aus Schockierendem und Erbärmlichen, für das man sich doch noch erbarmen kann. Sie erschöpfen sich allerdings in Wiederholung. Anders als im wesentlich stärkeren Nachfolger „Paradies: Glaube" mit härteren Momenten (Masturbation mit dem Kreuz) und radikaleren Wendungen. Und auch schwächer als bei Laurent Cantet. Der hatte das Thema der umkehrten Geschlechter-Ausbeutung schon 2005 mit „In den Süden" und Charlotte Rampling wesentlich dichter behandelt. Doch man sollte seine Liebe, den Glauben und die Hoffnung für Ulrich Seidl nicht aufgeben. Die Trilogie fügt den einzelnen Dramen tatsächlich einen Mehrwert hinzu.