Italien 2011 (Originaltitel) Regie: Paolo Taviani, Vittorio Taviani mit Cosimo Rega, Salvatore Striano, Giovanni Arcuri, Antonio Frasca 77 Min. FSK ab 6
Die Tavianis und die „Schweren Jungs"
Die italienischen Regie-Brüder Taviani, die man nach Welterfolgen wie „Kaos" in den Siebzigern und Achtzigern eher im Filmmuseum als im Festivalalltag vermutet, haben im Februar mit dem Gewinn des Goldenen Bären bei der Berlinale für gemischte Reaktionen gesorgt. Die über 80-jährigen Paolo und Vittorio zeigten im Wettbewerb mit „Cäsar muss sterben" (Cesare deve morire) ein klassisches Stück Agitprop: Italienische Schwerverbrecher inszenieren im Hochsicherheitstrakt der römischen Strafanstalt Rebibbia Shakespeares „Julius Cäsar" und spielen sich selbst, während sie sich selber spielen. Durch die eindrucksvollen Physiognomien der groben Kerle mit ihren regionalen Dialekten ist diese altmodische „scripted reality" nett anzusehen, aber sie bleibt inszeniert.
Als die Tavianis vor fünf Jahren mit „Das Haus der Lerchen", einem altbackenen Kostümdrama über den Genozid der Türken an der armenischen Bevölkerung, zeigten, schien ihre verdienst- und eindrucksvolle Karriere beendet. Nun zeigt ihr nächster Film - fast durchgehend in Schwarzweiß gedreht - zumindest ein paar reizvolle Brüche. Vom Casting über die ersten Proben verselbständigt sich das Gefangenenprojekt. Die „schweren Jungs", wie man verharmlosend nicht sagen sollte, fallen ab und zu aus ihren Rollen: „Diese Sätze gibt es bei Cäsar nicht". Aus den Shakespeare-Rollen wohlgemerkt. Da wechselt die Dokumentation zu einem Spielfilm, in dem sich die Insassen dann vielleicht wieder selber spielen und sich „reale" Spannungen entladen.
Dann, beispielsweise wenn man nachts die Gedanken all eines „Gefangenen-Chores" hört, ist „Cäsar muss sterben" ein inszeniertes Nach-Spielen des Knastlebens von den selbst Betroffenen. So was kennt man im schlimmsten Falle aus dem Nachmittags-Programm der Privat-Sender. Unter den Tavianis wird es nie derart peinlich, es bleibt bei dem einen oder anderen höchstens hölzern. Doch, wenn etwa ein Chor die nächtliche Gedanken und Qualen dieser Haft evozieren will, macht der Film die größten Probleme. Denn es fällt schwer, das gewünschte Mitgefühl für diese Häftlinge aufzubringen. Kurze Seitenblicke beispielsweise auf vier fehlende Finger an einer Hand lassen schaurig ahnen, was für monströse Geschichten diese oft zu lebenslänglich verurteilten Kerle wirklich erzählen könnten. Sicher sitzt hier keiner nur wegen Autodiebstahl oder Steuerhinterziehung. Nun sind derartige Gefangenen-Projekte zur „Resozialisierung" sehr sinnvoll. Und, obschon ein alter Hut, sorgen sie immer noch für Aufsehen: Noch in diesem Jahr war es Thema, dass die Maastrichter Theater-Regisseurin Letizia Rompelberg in ihrem Stück „Vast" einen ehemaligen Häftling seine - nur auf der Bühne - preisgegebene Geschichte erzählen lässt. Doch darum geht es nicht in „Cäsar muss sterben", hier findet bei den „Figuren" keine Entwicklung statt.
Davon abgesehen zeigen die Tavianis mit ihrer reichen Inszenierungs-Erfahrung immer wieder reizvolle Gefängnis-Winkel für das Schauspiel und das Spiel im Spiel. Bis sie in den letzten Minuten zur tatsächlich stattgefundenen Aufführung in klassischer Bühnensituation und in Farbe zurückkehren. Ein zwiespältiges Spektakel und ein problematischer Preisträger.