4.9.12

Venedig 2012 Spring Breakers von Harmony Korine

Breaking News: Spring Breakers

Festivalknaller von Harmony Korine

Da merkte man gerade an, dass die Jugend hier in Venedig irgendwie fehlt und auch das Publikum nicht vollzählig sei, schon drängt sich der Saal voll und springt einem Jugend per Breitseite von der Leinwand an: Spring Break in den USA - hüpfende Brüste, Koma-Saufen im großen Stil, Kiffen, Koksen... Und das ist erst der Vorspann!
Da Spring Break, die große Studentenparty im Frühling, ja in der amerikanischen Verfassung von den Gründungsvätern festgeschrieben wurde, müssen vier Freundinnen auch unbedingt nach Florida. Jeden Tag die gleiche Uni, das hält kein Mensch aus! Die dunkelhaarige Faith, die tatsächlich in einer Bet-Gruppe ist, und drei Blondvariationen, die auch nach 90 aufregenden Minuten keine Unze Individualität bekommen haben. Letztere rauben aus Geldmangel mal schnell einen Imbiss aus, die Kamera umrundet den Laden dabei sagenhaft elegant, und ab geht die Party.

Im Flow der Bilder und Töne unterscheiden sich die vier Mädels nicht von den tausend anderen, die sich an Floridas Küste die Kante geben. Puritanisch ist da nichts mehr. Erst als sie verhaftet und von einem Rapper namens Alien (James Franco) per Kaution ausgelöst werden, startet die Story durch. Diese Witzfigur mit einer Frontreihe von Metallzähnen, weiten Kinderhosen und einer Sneakersammlung erweist sich als ganz großer Gangster, der in seiner Wohnung „Scarface" auf Endlosschleife laufen lässt und überall Drogen, Geldbündel und Maschinengewehre stapelt. Während Faith das jetzt doch zu bunt wird, finden die anderen drei das jetzt keinen Hauch erschreckend, bedrohlich, kriminell oder so was - nur geil. Im Gegenteil, beim Sexspielchen mit geladenen Pistolen bekommt man eher um den Gangster Sorge, der plötzlich zwei von den Dingern tief im Mund stecken hat. Da der gehypte Regisseur Harmony Korine in seinem Kino-Trip nie Tempo rausnimmt, kommt der 88 Minuten kurze Film jetzt auch schon zum Gangster-Krieg und die Mädels machen fröhlich mit - in rosa Pussy-Riot-Sturmhauben und selbstverständlich weiterhin im Bikini, den sie Zweidrittel des Films anhaben.

Was für ein knalliger Gegensatz zum portugiesischen Film „Linhas de Wellington" am Morgen, der in 150 Minuten gemächlich historische Episoden um Napoleons Feldzug in Portugal aufzeichnete. Zwischen 1810 und 2012 liegen wirklich Welten. Ebenso zwischen der Regisseurin Valeria Sarmiento, die zudem noch einen Stoff von Regielegende Raul Ruiz übernahm, der im letzten Jahr 70-jährig starb, und dem 39-jährigen Harmony Korine. Der hat schon mit 19 das Buch für Larry Clarks „Kids" geschrieben, einen Liedtext für Björks Song „Harm of Will", das Sonic Youth-Video „Sunday" mit Macaulay Culkin und Rachel Miner gedreht und außerdem soll ihm der berühmte Jim Carroll („Jim Carroll - In den Straßen von New York") die Nabelschnur durchtrennt haben. Wenn das mal kein Start in eine Karriere ist!

Ein wilder Bilderrausch, der immer wieder vor und zurück springt, kennzeichnet auch seinen Venedig-Starter „Spring Breakers". Wie ein Filmriss wirkt gegen diese Dynamik das Strandbild vom Lido, wo italienische Senioren morgens ihren Einkaufsshopper zu den für Tausende Euro in Reih und Glied gemieteten Strandbuden ziehen. Ein Goldener Löwe für diese „Kids" wäre ein ähnliches Ausrufezeichen der Filmgeschichte wie damals die Palme für „Pulp Fiction"...