Großbritannien, USA 2011 Regie: Lynne Ramsay mit Tilda Swinton, John C. Reilly, Ezra Miller, Siobhan Fallon 112 Min.
Die Mutter des Amokläufers
Eingetaucht in zahllose Rotvarianten von der südländischen Tomatenernten-Orgie, bei der Swinton schon gekreuzigt erscheint, bis zu Tomatensuppen-Regalen und der von Nachbarn vollgeschmierten Hausfront durchlebt Tilda Swintons Figur Eva ihr Mörder-Mutter-Martyrium, für das die Britin mit dem Europäischen Filmpreis 2011 als Beste Darstellerin ausgezeichnet wurde: Eva hat etwas Böses getan - einen Amokläufer großgezogen. In einem manchmal euphorisierenden manchmal anstrengenden Fluss der Erinnerungen und Leidensmomente rekapituliert Eva von der Zeugung, über Zweifel in Schwangerschaft und auch sonst ihre durch ein veritables Monster immer überforderte Mutterschaft. Kevin ist ein echtes Biest - Rosemarys Baby dagegen ein Schätzchen. Mit hämischen Grinsen setzt er seinen hübschen Kopf durch, notfalls hilft er mit hinterhältigen Intrigen nach. Dass er an seiner Schule kaltblütig ein Massaker anrichtet, konnte man jedoch nicht ahnen. Oder doch, schließlich hatte er schon das Auge seiner kleinen Schwester herausgeschossen...
Genau einmal darf man bei diesem anderen „Kevin" lachen, als zwei Mormonen auf die Frage nach Evas Verbleib im Jenseits von ihr sofort die überzeugte Antwort „Im ewigen Fegefeuer" erhalten. Die 1969 in Glasgow geborene Regisseurin Lynne Ramsay legt ihr in vieler Hinsicht packendes und Fragen aufwerfendes Drama - nach Lionel Shrivers Roman „Wir müssen über Kevin reden" - berauschend und erschlagend an. Inhaltlich wie formal. Ein gewaltiges Kino-Stück!