Großbritannien, Österreich, Frankreich, Brasilien 2011 („360: A Vida é Um Círculo Perfeito") Regie: Fernando Meirelles mit Anthony Hopkins, Jude Law, Rachel Weisz, Moritz Bleibtreu 110 Min. FSK ab 12
Der neue Mereilles, ein Beziehungsreigen um die ganze Welt, ist eine runde Sache. Und ästhetisch ein Meisterwerk - das bei all seinen Dramen ein gutes Gefühl hinterlässt. In einer sehr freien Adaption von Arthur Schnitzlers Bühnenstück „Der Reigen" erleben wir mit zehn Hauptpersonen die Globalisierung von Schicksalen und Gefühlen.
Der „perfekte Kreis des Lebens" (so der portugiesische Titel) beginnt und endet in Schnitzlers Wien. Die Dirne von 1920 ist heute die junge Slowakin Mirka (Lucia Siposová) aus Bratislava, die bei einem ekligen Wiener Fotograf ihre Karriere als Prostituierte beginnt. Der britische Geschäftsmann Michael Daly (Jude Law) verpasst seine Stunde mit ihr, weil ein hinterhältiger Geschäftspartner (Moritz Bleibtreu) ihn erwischt. In einer der vielen genialen Bildkompositionen des Films wird Law während der Erpressung durch Bleibtreu in seinem Bildausschnitt ganz klein. So winzig kommt er auch in seine Londoner Wohnung zur Ehefrau Rose (Rachel Weisz) zurück. Die hat inzwischen ihrem jüngeren brasilianischen Liebhaber einen Korb gegeben, der wiederum zuhause das Abschiedsvideo seiner Freundin Laura (Maria Flor) findet. Im Flieger trifft diese auf John (Anthony Hopkins), der in die USA reist, um eine Leiche in Augenschein zu nehmen, die seine seit Jahren verschwundene Tochter sein könnte. Auf dem Flughafen von Denver hängt wegen eines Schneessturms auch der Sexualstraftäter Tyler (Ben Foster) fest, der erstmals Freigang hat und nur schwer den Versuchungen des menschlichen Kontaktes widerstehen kann. Ausgerechnet an seinen Tisch setzt sich Laura und nimmt ihn sogar in mit ins Hotelzimmer...
Vor allem diese Szene ist unheimlich bedrohlich, während die unterschiedlichen Aspekte von Beziehung, Treue oder Untreue durch intensives Schauspiel fesseln. Obwohl die „Aktwechsel" im Gegensatz zu Schnitzlers „Reigen" nicht immer den direkten Anschluss zeigen, packt jeder neue Blickwinkel jeder neuen Episode - auch durch die sehr prominente Besetzung und tolle Songs im Übergang. Eine kleine Soloshow von Hopkins, in der sich sein John bei den Anonymen Alkoholikern einiges klar wird, gehört zu den vielen Höhepunkten von „360".
Während der Wiener Reigen 1920 bitter und gnadenlos seine Gesellschaft sezierte und auch wegen vieler Sexual-Akte bis 1981 nicht aufgeführt werden durfte, führt diese Weltreise zu Akten der Emanzipation: Vom Glauben, von einer Trauer, von einem Partner. Was nicht immer zu neuem Glück führen muss. Die Pariser Zahnarzthelferin Valentina (Dinara Drukarova) wird von ihrem durch Psychoanalyse und Religion fehlgeleiteten Chef und Liebhaber (Jamel Debbouze) abgewiesen. Das wieder spannende Finale zurück in Wien - nach einer Fahrt um den Ring! - ist dann fast märchenhaft.
„360" vom Brasilianer Fernando Meirelles („Die Stadt der Blinden", „Der ewige Gärtner", „City of God") beginnt mit einem Foto-Shooting und endet mit einem Schuss. Was längst nicht die einzige Finesse dieses sehr raffiniert gestalteten Films ist (Buch: Peter Morgan). Immer wieder gibt es reizvolle Splitscreens, Dialoge über Spiegel und die innere Zerrissenheit der Lügen und Geheimnisse spiegelt sich in doppelten Reflexionen wieder (Kamera: Adriano Goldman). Zentral bleiben die Fragen „Wie kommen wir hier hin? Welche Entscheidung sollen wir treffen?" Die Antwort ist so überzeugend wie der Film.